© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/22 / 11. Februar 2022

Verhärtete Fronten
Kanada: Premier Justin Trudeau sagt dem „Freedom Convoy“ der Trucker den Kampf an / Hunderte Bundespolizisten unterstützen die Polizeidienste von Ottawa
Josef Hämmerling

Die Massenproteste Tausender kanadischer Lkw-Fahrer brachten Anfang der Woche die Hauptstadt Ottawa zum Erliegen. Die Einschränkungen für das öffentliche Leben waren so schwerwiegend, daß Bürgermeister Jim Watson nunmehr sogar den Notstand über die Stadt ausrief. Besonders in der Innenstadt geht so gut wie gar nichts mehr.

 Allerdings sorgten die Trucker selbst dafür, daß besonders wichtige Routen, wie etwa Anfahrten zu Krankenhäusern sowie die Ausfahrten und Strecken von Feuerwehrwachen frei zugänglich sind bzw. auch blockierte Straßen in Notfällen binnen kürzester Zeit freigemacht werden können. 

Trucker wollen sich nicht einschüchtern lassen

Die Proteste fingen am letzten Januar-Wochenende an, als der aus hunderten Lastwagen bestehende sogenannte „Freedom Convoy“ (Friedens-Konvoi) nach zum Teil mehr als 4.000 Kilometern Anfahrt die kanadische Hauptstadt blockierte und von Tausenden Bürgern unterstützt wurde. Waren diese Aktionen zunächst nur für kurze Zeit geplant, haben sie sich seither massiv ausgeweitet. 

Ging es zuerst nur darum, daß kanadische Truckfahrer bei der Rückkehr aus den USA einen Impfnachweis vorlegen mußten, wird nunmehr gegen die gesamte sehr restriktive Corona-Politik und auch gegen die Politik der Regierung allgemein protestiert. Die Sicherheitsbehörden waren von der Masse der Protestierenden so überrascht, daß Premierminister Justin Trudeau mitsamt seiner Familie vorübergehend an einen geheimgehaltenen Ort gebracht wurde. 

Politik, Polizei und Ordnungskräfte wurden von der Unterstützung aus den Reihen der Bevölkerung völlig überrascht. Obwohl das öffentliche Leben weitgehend lahmgelegt ist, kommen jeden Tag Tausende in die Innenstadt und bringen den Lkw-Fahrern Lebensmittel und vor allem auch Treibstoff. Da es nachts bis zu minus 20 Grad Celsius kalt wird, muß zumindest zu dieser Zeit die Standheizung laufen, damit die Fahrer in ihren Kabinen übernachten können. Inzwischen wurden aber Hütten mit transportablen Toiletten gebaut, um die hygienischen Zustände zu verbessern. Die Sicherheitsbehörden wurden nunmehr angewiesen, Kanister mit Treibstoff zu konfiszieren. Da aber viele Bürger nunmehr Wasser in die Kanister einfüllen, kommen die Behörden mit den Kontrollen nicht mehr nach und ist der Diesel-Nachschub gesichert.

Sprecher des „Freedom Convoy“ erklärten nun, daß sie so lange weitermachen wollen, bis die ihrer Ansicht nach überzogenen und jede Verhältnismäßigkeit sprengenden Maßnahmen vollständig abgeschafft werden. Nicht zuletzt durch die Unterstützung der Bevölkerung habe man genügend Ressourcen, dies noch wochenlang durchzuhalten. Man werde sich auch nicht durch „willkürliche“ Verhaftungen abhalten lassen. 

Die Polizei hatte zuletzt mehrere Trucker wegen angeblichen Widerstands gegen die Staatsgewalt verhaftet, unter anderem wegen tätlicher Angriffe gegen Polizisten oder Ordnungskräfte, Blockade sicherheitsrelevanter Gebäude oder Verstößen gegen die Coronavorschriften. Da die Demonstranten ihren Unmut auch durch lautes Hupen tag- und nachtsüber kundtaten, erließ nun Richter Hugh McLean vom obersten Gerichtshof der Provinz Ontario eine zehntägige Einstweilige Verfügung, die ihnen dies verbietet. „Der anhaltende laute Protest hat das Recht der Bürger auf Ruhe beeinträchtigt“, sagte McLean der Zeitung Ottawa Citizen. Die Trucker hätten zwar das Recht, auf unterschiedliche Art und Weise zu demonstrieren, doch der unaufhörliche Lärm könne langfristig Hörschäden verursachen.

Der von einer Corona-Erkrankung wiedergenesene Trudeau erklärte nun in einer Dringlichkeitssitzung des Unterhauses: „Kanadier haben das Recht zu protestieren, mit ihrer Regierung nicht einverstanden zu sein und sich Gehör zu verschaffen. Wir werden dieses Recht immer schützen. Aber seien wir uns daüber klar: Sie haben nicht das Recht, unsere Wirtschaft, unsere Demokratie oder das tägliche Leben unserer Mitbürger zu blockieren. Es muß aufhören.“ Und das werde nun mit allen Mitteln versucht, so Trudeau. „Bisher wurden Hunderte Bundespolizisten mobilisiert, um die Polizeidienste von Ottawa zu unterstützen. Wir arbeiten auch mit kommunalen Partnern zusammen, um unsere Reaktion weiter zu verstärken, und wir werden weiterhin mit allen erforderlichen Ressourcen da sein, um die Situation unter Kontrolle zu bekommen.“

Proteste auch in Montreal, Toronto und Calgary

Zur Finanzierung des „Freedom Convoys“ und auch zur Unterstützung des Einkommensausfalls der oftmals selbständigen Lkw-Fahrer hatten Unterstützer über zehn Millionen kanadische Dollar auf der Crowdfunding-Plattform „Go Fund Me“ gesammelt. Allerdings wurde bislang nur ein Bruchteil dieser Summe ausgezahlt, da laut der Zeitung Guardian die Organisatoren „mit rechtswidrigen Aktivitäten gegen die Nutzungsbedingungen der Website verstoßen hätten“. 

Als „Go Fund Me“ ankündigte, die Zahlungen an andere wohltätige Organisationen weiterzuleiten, wurden die Proteste so heftig, daß das Geld nun den Spendern zurückgezahlt wird. Mehrere Politiker haben wegen dieses Verhaltens bereits Untersuchungen gegen die Plattform angekündigt. Die Truckfahrer sind deswegen auf die christliche Crowdfunding-Organisation „GiveSendGo“ ausgewichen, die mehrere Millionen eingegangene Dollar bereits an die Lkw-Fahrer auszahlte.

Nachdem sich die Proteste auf ganz Kanada ausweiteten und es Solidaritäts-Demonstrationen in Montreal, Toronto und Calgary gab, werden die Repressionen der Sicherheitsbehörden immer stärker. So muß jetzt jeder, der den Truckern auch nur Lebensmittel bringt, damit rechnen, verhaftet zu werden, erklärte die Polizei via Twitter. 

Kanadischen Zeitungsberichten zufolge gab es bereits erste Festnahmen und mehr als einhundert eingeleitete Ermittlungsverfahren. Darüber hinaus seien seit Ausrufung des Notstands über 500 Strafzettel ausgestellt worden. Zudem würden Droh-E-Mails an Behördenvertreter untersucht. 

Doch ob das alles ausreicht, die Proteste zu unterdrücken, muß angezweifelt werden. „Sie machen eine Party daraus. Wir sind eindeutig in der Unterzahl und verlieren diesen Kampf“, sagte Bürgermeister Watson dem Radiosender CFRA. Die Zahl der Demonstranten sei weit höher als die der Polizeibeamten der Stadt.

Foto: Protest des Freiheitskonvois in Ottawa: Gegen Impfzwang und Covid-19-Beschränkungen