© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/22 / 11. Februar 2022

Österreich will die Förderwürdigkeit von Atomkraft in der EU verhindern
Auf der Alm ohne Sünde
Albrecht Rothacher

Die Europäer wollen, anders als die Chinesen oder Inder, möglichst bald aus der Kohleverstromung aussteigen. Atom und Gas werden daher von der EU-Kommission und der Mehrheit der Mitgliedstaaten als „nachhaltige Übergangstechnologien“ und förderwürdig eingestuft. Das ist realistisch, denn Sonne, Wind und der Traum vom Wasserstoff werden es nicht richten. Zwar haben Dänemark, Schweden und die Niederlande, deren Erdgasvorkommen bei Groningen erschöpft sind, wegen des Methan-Austrittes bei der Förderung Vorbehalte. Portugal und Deutschland lehnen Atomstrom zwar ab, doch nur Luxemburg und Österreich wollen gegen die sogenannte Taxonomie-Verordnung (JF 49/21) klagen.

Die Erfolgsaussichten stehen bei Null, denn beide Länder haben den Euratom-Vertrag von 1957 unterschrieben. Die Förderung der Kernenergie ist damit EU-Primärrecht, auch wenn den Mitgliedsstaaten die Wahl ihres nationalen Energiemixes freisteht. Die angekündigte EuGH-Klage der grünen Umweltministerin Leonore Gewessler ist also reine Show. Der Beifall des Staatssenders ORF ist der Wiener Grünen aber gewiß. Bekanntlich stimmte beim Referendum 1978 eine knappe Mehrheit gegen das fertiggestellte AKW Zwentendorf an der Donau. Und mit der Tschernobyl-Katastrophe schwanden 1986 die letzten Atomsympathien. 60 Prozent des Strom erzeugt die Wasserkraft. Heute ist die AKW-Allergie – ähnlich wie die 1955 beschlossene „immerwährende Neutralität“ – ein parteiübergreifendes Nationalheiligtum der Österreicher. Von den Freiheitlichen bis zu den linken Grünen wollen alle österreichischen Europaabgeordneten gegen die EU-Taxonomie stimmen, nur werden sie dort – außer bei den Grünen (EFA) und der Linken-Fraktion (GUE/NGL) keine Mehrheit finden.

Ähnlich allergisch reagiert die Öffentlichkeit – befeuert von der Kronenzeitung – auf Gentechnologien oder Freihandelsabkommen, von Ceta mit Kanada bis zu den Mercosur-Ländern. Es fehlen in Österreich als Zulieferland die großen Handelsmarken, mit denen Exporterfolge sich plakativ darstellen lassen. Auch ist die Technik- und Wirtschaftsskepsis in Teilen der katholischen Kirche und selbst im Bildungsbürgertum weit verbreitet. Und am schönsten ist es doch auf der Alm ohne Sünde, Strom und Computer. Nur lebt dort im Winter niemand mehr.