© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/22 / 11. Februar 2022

Die Polen baggern ungehindert weiter
Energiepolitik: Prag und Warschau haben für 45 Millionen Euro einen Kompromiß zum Braunkohletagebau Turów östlich der Neiße gefunden
Paul Leonhard

Unverdrossen befördern die Baggerriesen braunes Gold auf Förderbänder. Die Maschinisten dürften wenig mitgekommen haben vom Streit ihrer Regierung mit der benachbarten Tschechei und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Keine Nacht wurde das Licht auf den Anlagen ausgeschaltet, keine Schicht ist ausgefallen, kein Złoty weniger stand auf der Gehaltsabrechnung. Und es geht in Turów unweit von Reichenau (Bogatynia) immer tiefer in die Erde. Bis mindestens 2026 werden die polnischen Bergleute Braunkohle aus dem einst sächsischen Tagebau östlich der Lausitzer Neiße abbauen, dessen benachbartes Kraftwerk sieben Prozent der landesweit benötigten Energie produziert.

Nur die Gewinne der halbstaatlichen Aktiengesellschaft Polska Grupa Energetyczna (PGE) werden etwas kleiner ausfallen. Dafür kann der Staat wohl wieder Corona-Fördermittel von der EU beziehen. Von der Befürchtung, daß der Tagebau die nordböhmischen Trinkwasservorkommen bedrohe, ist keine Rede mehr, auch nicht von der Umweltverträglichkeitsprüfung. Die Mitteilung, daß sich der Prager Premier Petr Fiala und sein Warschauer Amtskollege Mateusz Morawiecki vorige Woche auf den Bau eines Erdwalls gegen Lärmbelästigungen und auf Ausgleichszahlungen verständigt haben, hat die grenzüberschreitend agierenden Umweltverbände schockiert, die auf ein schnelles Ende des „klimaschädlichen Tagebaus“ gehofft hatten.

Kohleverstromung bis 2049 und AKW-Bau in Pommern geplant

Da Prag seine EuGH-Klage zurückzieht, können die Richter nicht das für Mai erwartete Urteil zur Staatenklage Prags sprechen. Dennoch will die EU die gegen Polen aufgelaufenen Strafzahlungen von 15 Millionen Euro durch Abzug von anderen EU-Zuwendungen „eintreiben“. So sind die auf fünf Jahre gestreckten Ausgleichszahlungen von 45 Millionen Euro „Peanuts“ gemessen an der Geldstrafe von täglich 500.000 Euro, zu deren Zahlung die Luxemburger EuGH-Richter Polen verdonnert hatten, sollte der PGE-Konzern nicht mit sofortiger Wirkung die Kohleförderung einstellen.

Der Kompromiß ist eine unerwartete Niederlage für jene EU-Granden, die auch in anderen Bereichen die widerspenstigen Polen (Stichwort: Einwanderung von Muslimen) zur Räson bringen wollten. Und der polnische Klimaminister Aleksander Brzózka hatte im Mai 2021 gesagt, das Urteil sei aus den Fingern gesaugt und entbehre jeder rechtlichen Grundlage. Der EuGH dürfe nicht „in Sicherheitsbelange eingreifen“, zu der die Energieversorgung zähle. Und offenbar funktioniert auch die Zusammenarbeit der eurokritischen Parteien: Fialas ODS und Morawieckis PiS sind beide Mitglied der Europäischen Konservativen (EKR), zu der auch die rechte Fratelli d’Italia, die Schwedendemokraten (SD) oder die spanische Vox gehören.

Dieser polnischen Regierung dürfe man „nicht trauen, eine Postkarte zu unterschreiben, geschweige denn ein verantwortungsvolles Klimaversprechen“, schimpft hingegen Kathrin Gutmann, langjährige BUND-Funktionärin und seit 2020 Kampagnenchefin der NGO Europe Beyond Coal. Gemünzt ist das auf die Unterzeichnung des „Global Coal to Clean Power Transition Statement“ bei der Glasgower UN-Klimakonferenz, nach dem „große Volkswirtschaften“ schon in den 2030er Jahren aus der Kohleverstromung aussteigen und die übrigen erst in den 2040er Jahren. Für Warschau bleibt es bei der Kohleverstromung bis 2049, wie es den polnischen Gewerkschaften versprochen wurde. Man sei ja keine große Volkswirtschaft, so Brzózka.

Auch dürfte Warschau das Papier nur unterschrieben haben, weil es sonst zwei Milliarden EU-Fördermittel verliert. In Polen stammen schließlich über 70 Prozent des Stroms aus Braun- und Steinkohle. Das erste Kernkraftwerk soll ab 2026 im hinterpommerschen Chottschow (Choczewo) bei Lauenburg (Lębork) gebaut werden. Das AKW mit einem Gigawatt Leistung (die Hälfte des Kraftwerks Turów) soll frühestens 2033 ans Netz gehen, weitere fünf dann bis 2043. Immerhin hat die EU einen 17,5 Milliarden Euro schweren Fonds für die Umstrukturierung der Kohleregionen aufgelegt: „Der Übergang wird auf eine faire Art und Weise stattfinden – oder er wird überhaupt nicht stattfinden, weil die Menschen ihn dann nicht akzeptieren werden“, gestand der sozialdemokratische EU-Klimakommissar Frans Timmermans 2021 ein.

PGE Capital Group: elturow.pgegiek.pl