© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/22 / 11. Februar 2022

Anspruch und Wirklichkeit
Auswärtiges Amt: Der feministische Einschlag soll wichtiger Bestandteil deutscher Außenpolitik werden
Jörg Sobolewski

Mit dem Amtsantritt von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ist, so sind sich im Inland weite Teile der Presselandschaft sicher, eine neue Zeit angebrochen. Jung und progressiv sei die neue Amtsinhaberin, aber vor allem sei sie eine Frau und als solche habe „sie es schwerer“, so ist sich zumindest der Deutschlandfunk sicher. Dennoch könne man von ihr viel erwarten, betont der Spiegel, vor allem eine klimafreundliche „feministische Außenpolitik“. 

„Wir haben als neue Bundesregierung im Koalitionsvertrag formuliert – das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, eine Politik auf Höhe der gesellschaftlichen Realität zu machen. Das gilt auch in der Außenpolitik“, betonte die frischgebackene Außenministerin in ihrer Antrittsrede zur Außen- politik Mitte Januar 2022. „Daher folgen wir dem Beispiel Kanadas und Schwedens und setzen eine Strategie für eine feministische Außenpolitik auf. Ja, ich weiß, manchen hier fällt es schwer, den Begriff auszusprechen, aber eigentlich ist es ganz simpel: Es geht um Repräsentanz, es geht um Rechte, und es geht um Ressourcen. Denn wenn die Hälfte der Bevölkerung nicht gleichberechtigt beteiligt, repräsentiert oder bezahlt ist, sind Demokratien nicht vollkommen. Zum anderen erleben wir weltweit, daß der Abbau der Rechte von Mädchen und Frauen ein Gradmesser für das Erstarken von autoritären Kräften ist.“

Was die Welt von dieser Art Außenpolitik erwarten kann, erläuterte die Menschenrechtsbeauftragte Luise Amtsberg, die mit ihrer Beauftragtenstelle  im Auswärtigen Amt angesiedelt ist, im Gespräch mit der Berliner Zeitung Ende Januar dieses Jahres. Zwar sei sie momentan noch dabei, ihre „Prioriäten zu definieren“, aber in jedem Fall sei die „Stärkung von Frauen“ und die Unterstützung sonstiger „marginalisierter Gruppen“ zentraler Bestandteil einer feministischen Außenpolitik. 

Weichen wurden bereits bei Vorgänger Heiko Maas gestellt

Wir wissen, daß „Frauen unverzichtbar für die Lösung von Konflikten sind“, betonte Amtsberg. „Wenn wir also über eine wertegeleitete Außenpolitik sprechen, muß es Anspruch der Bundesrepublik sein, Frauen zu stärken – was Repräsentanz angeht, aber auch ihren Schutz und den Schutz ihrer Rechte. Eine feministische Außenpolitik ist übrigens nicht exklusiv. Im Gegenteil. Es geht darum, die ganze Gesellschaft, also auch andere marginalisierte Gruppen, die unter Druck geraten, zu unterstützen. Das gilt sowohl für die Außenpolitik, wie wir sie gestalten, als auch, wie wir sie von anderen einfordern. Wir können also nicht sagen, holt bitte Frauen an den Verhandlungstisch und selber kommen wir mit einer Delegation von Männern.“

Dazu gehört für das Außenministerium offenbar auch die Erleichterung des Familiennachzugs aus Afghanistan und die beschleunigte Aufnahme von Frauen und „Menschrechtsverteidiger_innen“. Denn „die afghanische Zivilgesellschaft soll auch in Deutschland Raum finden, um weiter aktiv zu sein“. Um die 13.000 Menschen sollen so aus Afghanistan herausgeholt und nach Deutschland umgesiedelt werden, so Amtsberg. In der EU werde man sich auch weiterhin für das sogenannte „Gender Budgeting“ einsetzen, eine Budgetberechnung, bei der vor allem geprüft werden soll, welche Geschlechter von einer Kürzung und Erhöhung besonders betroffen sind. 

Auch auf die Partnerorganisationen der bundesdeutschen Diplomatie kommen Herausforderungen zu. Partnerinstitutionen des Auswärtigen Amts sollen auf vertragliche Zielquoten von mindestens 30 Prozent Frauenanteil bei Veranstaltungen verpflichtet werden, auf Veranstaltungen des Auswärtigen Amtes sollen es sogar 40 Prozent sein. Dazu führt das AA eine Datenbank mit Expertinnen aus dem Bereich Außen- und Sicherheitspolitik. In Zukunft, so der Plan der zuständigen Mitarbeiter, soll eine weibliche Perspektive aus der Außenpolitik nicht mehr wegzudenken sein. 

Baerbock hat auch angekündigt, es ginge ihr um „Rechte, Repräsentanz und Ressourcen“, feministische Außenpolitik bedeute „militärisch, machtpolitisch und in Sachen Sicherheit neu zu denken“.  

Tatsächlich ist der feministische Anspruch an die eigene Außenpolitik nichts Neues am Werderschen Markt 1. Bereits Baerbocks Vorgänger Heiko Maas forderte von seinem eigenen Ministerium eine „feministischere Außenpolitik“, die sich nicht nur auf „Geschlechterparität“ beschränken sollte. 

So erhöhte sich unter dem Sozialdemokraten der Anteil an Frauen unter den Abteilungsleitern von 27 auf 45 Prozent. Diplomaten des Auswärtigen Amtes beschwerten sich hinter vorgehaltener Hand gar darüber, daß der Minister „Frauenförderung mit mehr Leidenschaft als Außenpolitik“ betreibe, wie der Spiegel vor rund einem Jahr schrieb. Konkreter Auslöser des Unmuts war damals die Beförderung von Katharina Stasch im Ministerium. Die ehemalige Büroleiterin wurde ohne jede diplomatische Ausbildung zur ständigen Vertreterin der Bundesrepublik bei den Vereinten Nationen berufen.

Eine Kontinuität also, die vor allem auf den Einsatz eines feministischen Thinktanks zurückzuführen ist, dem „Centre for Feminist Foreign Policy“ CFFP). Dessen Gründerin, Kristina Lunz, ist auf den Fluren des Ministeriums keine Unbekannte. Zwischen 2019 und 2020 war sie als Dreißigjährige für ein Jahr als Beraterin im Auswärtigen Amt tätig. Die Politikwissenschaftlerin mit Abschlüssen aus Oxford und London verfügt ohnehin über einen beeindruckenden Lebenslauf, in dem mehrere Stipendien renommierter Stiftungen zusammenkommen und eine nicht enden wollende Reihe an Auslandsaufenthalten: Praktika in Johannesburg bei der Konrad Adenauer- Stiftung, Teilnehmerin der „Summer School“ in Stanford und „Gender and Coordination Officer des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen“ in Myanmar sind nur einige der Stationen im Lebenslauf der jungen Frau. 

Mit entsprechendem Selbstbewußtsein tritt Lunz auch in stets ähnlich klingenden Interviews von taz  bis zur bürgerlichen Zeit auf. Daß im Koalitionsvertrag eine „feministische Außenpolitik“ festgeschrieben wurde, das sei maßgeblich auf die „Vorbereitung“ durch ihre Organisation zurückzuführen. Denn es sei „enorm wichtig, daß eine starke Zivilgesellschaft das Thema pusht“. Immer wieder betont Lunz den Einfluß der „Zivilgesellschaft“, in einem Nebensatz wird deutlich, was sie darunter versteht. Es gehe um „eine oder mehrere Personen, die sich dafür einsetzen, daß es etwa im Koalitionsvertrag landet“, man „kennt sich, man kennt das Thema“. 

Konfrontation mit Moskau als erster Prüfstein  

Kritiker könnten an dieser Stelle anmerken, daß „eine oder mehrere Personen“ wohl kaum als Zivilgesellschaft taugen. Aber das ficht Lunz nicht an. Stattdessen formuliert sie ihre Kritik an der bisherigen Weltpolitik grundsätzlich. Es gehe um die Frage, ob „Staaten wirklich nur durch militärische Stärke, Dominanz und Unterdrückung anderer“ überleben könnten. Diese Geisteshaltung sei als patriarchale Struktur aufzubrechen und solle durch eine Politik ersetzt werden, die ihren Fokus auf Menschenrechte und „alles, was zu einer gerechten Gesellschaft beiträgt“, setzt.

Eine inhaltliche Diskrepanz die sich mit Blick auf die sicherheitspolitische Themensetzung im Koalitionsvertrag auf den ersten Blick verschärft. Denn dort wird von Aufrüstung im Einklang mit den Bündnispartnern innerhalb der Nato gesprochen, was Lunz im Interview mit der taz sauer aufstößt.

Vielleicht ist deshalb auch nicht Kristina Lunz im Außenministerium für die Umsetzung einer feministischen Politik zuständig, sondern ausgerechnet ein Mann. Tobias Lindner, seit 2011 Bundestagsabgeordneter und seit Dezember vergangenen Jahres Staatsminister im Außenministerium. Lindner hatte seine Kriegsdienstverweigerung zurückgenommen, um an einer Wehrübung der Bundeswehr für Bundestagsabgeordnete teilnehmen zu können. Auch sonst hat der promovierte Volkswirt eine bemerkenswerte Wandlung von der friedensbewegten Taube zum Falken hingelegt, ist Mitglied der parlamentarischen Versammlung des Nordatlantikpaktes. 

In Konflikt mit der Strategie seiner Chefin bringt ihn die ausgeprägte Nato-Freundschaft nicht, denn längst fordern auch im Nato- Hauptquartier einige offen die Annahme einer „feministischen Verteidigungspolitik“ als Teil des „wertebasierten Ansatzes“ des Militärbündnisses. Dazu gehöre auch die „Dekonstruktion von Rassismus, Kolonialismus und patriarchalen Strukturen, um mehr Raum für Gendergerechtigkeit und Menschenrechte zu schaffen“, wie die Autoren einer Denkschrift für das Nato-nahe Atlantic Council schreiben. 

Kristina Lunz sieht hier allerdings Etikettenschwindel am Werk. Feministische Außenpolitik müsse immer auch „Abrüstung“ umfassen, andernfalls handle es sich um bloßes „Pink Washing“, also Pinkfärberei. Doch tatsächlich dürfte auch Lunz die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Konfrontation mit Moskau bewußt sein.





Annalena Baerbocks Lebenlauf 

Annalena Baerbock und ihr mehrfach korrigierter Lebenslauf. Ungenaue Angaben zu ihren Studienabschlüssen und die Mär einer Mitgliedschaft in der Transatlantik-Stiftung German Marshall Fund und dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR kratzten an ihrem Image. Statt „Mitgliedschaften“ steht nun „Beiräte, (Förder-)Mitgliedschaften, regelmäßige Unterstützung“ in ihrem Lebenslauf. Auch verweist die Grüne nun darauf, daß sie ihr Studium an der Uni Hamburg mit dem Vordiplom beendet habe. Zuvor hatte sie nur die Studienzeit genannt, ohne den Abschluß zu erwähnen .

Geboren am 15.  Dezember 1980 in Hannover, evangelisch-lutherisch; verheiratet, zwei Töchter.

2000–2003 Freie Mitarbeiterin bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung

2000–2004 Studium an der Universität Hamburg: Politische Wissenschaft (Vordiplom)

2004–2005 Masterstudium an der London School of Economics: Public International Law. Abschluß: Master of Laws (LL.M.) 

2005–2008 Büroleiterin bei der grünen EU-Abgeordneten Elisabeth Schroedter

2009–2013 Doktorandin des Völkerrechts, FU Berlin, Promotion nicht abgeschlossen. Thema „Naturkatastrophen und humanitäre Hilfe im Völkerrecht“. Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Brandenburg. Ab September 2013 Abgeordnete im Bundestag.

2008–2009 Referentin für Außen- und Sicherheitspolitik der Grünen-Bundestagsfraktion  

Ab 27. Januar 2018 zusammen mit Robert Habeck Parteivorsitzende von B’90/Die Grünen

Seit 8. Dezember 2022 Bundesministerin des Auswärtigen 

Foto: Außenministerin Annalena Baerbock und ihr russischer Amtskollege Sergej W. Lawrow: Von feministischer Politik war bei dem Treffen am 18. Januar 2022 nicht die Rede