© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/22 / 11. Februar 2022

Dorn im Auge
Christian Dorn

Beim Blick in den Tagesspiegel stoße ich auf die neueste Kolumne Harald Martensteins. Diesmal thematisiert er den Balken im eigenen Auge bei jenen Zeitgenossen, die die Gegner des Corona-Maßnahmestaates als Antisemiten bezeichnen, da einige von denen einen adaptierten Judenstern tragen. Dies sei nicht nur absurd, weil unlogisch, erfahrungsgemäß seien solche Zeitgenossen auch dieselben Leute, die Trump als Hitler und die AfD als Nazis bezeichneten. „Konkret“ heißt das für den Autor: Er wolle nur Mitglied jener Kirche sein, die man im Dorf läßt, so Martenstein unter Verweis auf sein Jugendidol, den linken Publizisten Hermann L. Gremliza. 

Der Punk schreit sein Glaubensbekenntnis heraus: „Deutschland muß sterben, damit wir leben können!“

Die Welt ist bekanntlich zum Dorf geschrumpft, so daß auch Moroni, die Hauptstadt der Komoren, unvermittelt nah an die Gethsemanekirche herangerückt ist, wie ich dem Morgenprogramm des Deutschlandfunks entnehme. Dort wird berichtet, wie in Moroni ungeimpfte Menschen aus Autos gezerrt, gewaltsam ins Militärhospital geschleift und dort gegen ihren Willen geimpft werden. So auch ein Punk, der sich empört zeigt: Die Menschen würden behandelt wie Vieh. Ganz anders dagegen der hochgewachsene Punk vor der Gethsemanekirche in der Vorwoche, der im „Nachhutgefecht“ des allwöchentlichen Showdowns mit drei Gegnern des Corona-Maßnahmestaates diskutiert und großmäulig erklärt, ihm sei vor allem die „Meinungsfreiheit“ wichtig. Daraufhin konfrontiere ich ihn mit dem offenkundigen Widerspruch: Wie denn sein hehres Bekenntnis mit dem Aufnäher auf seinem Rücken zusammenpasse mit der Botschaft: „Deutschland halt’s Maul!“ Während die Gesprächspartner obdessen noch irritiert sind, gerät der Punk sichtlich in Erklärungsnot, um schließlich sein Glaubensbekenntnis herauszuschreien: „Deutschland muß sterben, damit wir leben können.“ Im selben Augenblick hat sich die bis eben noch interessierte Diskussionsrunde in Luft aufgelöst. Auf einmal wird mir bewußt: Offenbar bin ich ein professioneller Kommunikationskatalysator. 


Wenige Schritte weiter treffe ich auf eine Veterinärmedizinerin, die in der Diskussion mit den Impfkritikern deren Gegenargumente (schwerwiegende Nebenwirkungen und Impfschäden) abfällig mit der Hand beiseite wischt: Sie habe als Veterinärmedizinerin die Impfung von 500.000 Rindern geleitet. Damals habe es auch niemanden gegeben, der sich danach wegen Nebenwirkungen oder Impfschäden beschwert habe. Angesichts des politischen Drucks, auch die Jüngsten zu impfen, fehlt eigentlich nur noch die staatliche Losung: „Kinder statt Rinder.“ Dabei ist nichts so, wie es scheint: So ist die Impfbefürworterin gleichzeitig gegen eine Impftriage: So würde sie – vor die Wahl gestellt – eher einen an Corona erkrankten, ungeimpften Mittdreißiger behandeln als einen dreimal geimpften Greis von 90 Jahren. Daraufhin empört sich ein mit ihr diskutierender Vagabund: Wie könne sie es nur verantworten, einen alten Mann, der bis zu seinem Lebensende alles richtig gemacht und es so weit geschafft habe, dafür bestrafen und gleichzeitig einen verantwortungslosen jungen Mann retten?