© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/22 / 11. Februar 2022

Den Stilwechsel zum Stilprinzip erhoben
Kunstwelt: Dresden und Köln widmen Gerhard Richter zu seinem 90. Geburtstag Ausstellungen. Wer aber ein ganz frühes Werk sehen will, muß an die Neiße fahren
Paul Leonhard

Kunst am Bau“ hieß das Zauberwort, mit dem im Arbeiter- und Bauernstaat die sozialistischen Künstler ihren Teil am Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung leisten konnten. Gerhard Richter war eines dieser jungen Talente, die sich so verweigern konnten. Und der Weltstar, der am 9. Februar seinen 90. Geburtstag feierte, ist so wenig stolz auf seine DDR-Vergangenheit, daß er sich an sie nicht mehr so recht erinnern will beziehungsweise an die in jenen Jahren entstandenen Werke. Und taucht doch eins aus jener dunklen Zeit auf, ist er zumeist irgendwie peinlich berührt.

1994 bereitete das Deutsche Hygiene-Museum zu Dresden die Sonderausstellung „Körperbilder, Menschenbilder“ vor, und die Kuratoren entsannen sich, daß ein zur Schau passendes Wandbild im Haus selbst existieren mußte: „Lebensfreude“, 1956 entstanden, 63,54 Quadratmeter groß und damit die ganze Wand einnehmend. Es ist nicht irgendein Werk, es ist Richters Diplomarbeit, für die er die Note „Sehr gut“ erhielt und sein Studium der Klassischen Malerei bei Professor Heinz Lohmar an der Kunsthochschule in Dresden als Diplom-Wandmaler abschloß.

Der Künstler verstieß sein Frühwerk als nicht erhaltenswert

Restauratoren legten eifrig zwei Stellen frei, eine Mutter mit Kind und die Signatur des Malers. Der zeigte sich davon wenig angetan. „Was das Wandbild betrifft, muß ich sagen, daß es mich zwar ehrt, daß es Bemühungen gibt, es wieder freizulegen, aber andererseits bin ich mir sicher, daß das Wandbild nicht zu den erhaltenswerten Kunstwerken auf der Welt gehört. Deshalb kann ich auch nicht den möglichen Aufwand zu seiner Wiederinstandsetzung billigen und muß Ihnen also sagen, daß ich nicht damit einverstanden wäre“, schrieb er dem Museum. Dieses folgte seinem Wunsch (allerdings erst sechs Jahre später) und ließ alles – nachdem es konserviert worden war - wieder hinter weißer Farbe verschwinden, wie es einst der Genosse Generaldirektor 1979 angeordnet hatte. Ein Republikflüchtling war es nicht wert, daß man seine Werke zeigte.

Aber er hinterließ seine Werke. Im Ortsteil Hagenwerder der Grenzstadt Görlitz, unweit von Reichenau, dem heute polnischen Bogatynia, in dem der gebürtige Dresdner einen Teil seiner Kindheit verbrachte, wurde jetzt ein zehn mal zehn Meter großes Wandbild am Giebel einer ehemaligen Schule als früher Richter identifiziert: eine stilisierte Landkarte mit der Darstellung der Grenzflüsse Oder und Neiße sowie einer angebrachten Sonnenuhr. Entdeckt hat es der Dresdner Galerist André Döring bei Recherchen für eine Ausstellung. „Es war immer öffentlich zugänglich, aber vergessen“, sagte Döring der Deutschen Presse-Agentur.

Allerdings ist das Fassaden-Sgraffito nicht mehr im Original erhalten, da es vor einigen Jahren der Wärmedämmung des Gebäudes zum Opfer fiel und von einem Handwerker anschließend mehr nachempfunden als kopiert wieder aufgetragen wurde.

Mag sein, daß dieses Werk für das Lebenswerk Richters „künstlerisch nicht relevant“ ist, wie Dietmar Elger, Leiter des Richter-Archivs und Richter-Biograph, sagt, aber es vermittelt doch einen wichtigen Teil seines Werdens, und angesichts zwei weiterer noch im Auftrag der SED zerstörter Wandbilder – „Abendmahl mit Picasso“ in der Mensa der Kunsthochschule 1954 und „Arbeitskampf“ 1958 an der Stirnwand des Sitzungssaales der SED-Bezirksleitung Dresden – hat es zumindest Seltenheitswert.

„Ein Fall, der in der Kunstgeschichte kaum eine Parallele finden dürfte: Das komplette Frühwerk eines bedeutenden Malers, unisono verstoßen von ihm selbst wie von dem Staat, der ihn verstieß“, schreibt Wolfgang Büscher 2008 in der Zeit. Und er erinnert auch an die „radikalste Aktion“ des Künstlers, als dieser im Hof der Düsseldorfer Kunstakademie die Bilder seiner ersten Jahre im Westen verbrennt, seine Annäherungen an die abstrakte West-Moderne. Mit dieser hatte er 1959 auf der Documenta II in Kassel erstmals Bekanntschaft gemacht und sie waren Auslöser, die in den sozialistischen Realismus taumelnde DDR zu verlassen.

„Diese Unverschämtheit! Ich könnte fast sagen, daß diese Bilder der eigentliche Grund waren, die DDR zu verlassen“, sagt Richter in einem Interview: Ich merkte, daß irgend etwas mit meiner Denkweise nicht stimmte.“ Der am Anfang seiner Karriere stehende Maler wollte weg von der braven „Lebensfreude“, die ihm der Staat vorgab. Er katalogisierte sein bisheriges Werk in zwei Mappen und ließ es in Dresden der Vergangenheit anheimfallen. Er schloß es auch später aus seinem Werkeverzeichnis aus, das erst 1962 beginnt.

Seine Werke sind weltweit in den wichtigsten Museen zu finden 

In Düsseldorf absolvierte er an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf ein zweites Studium, lehrte dort von 1971 bis 1994 Malerei und entwickelte sich zu einem der einflußreichsten zeitgenössischen Künstler, dessen Werke weltweit in den wichtigsten Museen der Welt zu finden sind und der den permanenten Stilwechsel selbst zum Stilprinzip erhoben hat.

Die Kunststadt an der Elbe hat Richter, der in der „Weltrangliste der lebenden Künstler“ des Kunstkompasses von 2004 bis 2008 und von 2010 bis 2018 den ersten Platz belegt, der zu den weltweit teuersten Gegenwartskünstlern zählt und dessen Vermögen das Manager Magazin auf 700 Millionen Euro schätzt, diese Verneinung seiner Dresdner Zeit verziehen. Auch weil Richter seit 20 Jahren eng mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) zusammenarbeitet und diesen nach dem verheerenden Elbhochwasser im August 2002 ein Gemälde für eine Benefizauktion spendete. In der Gemäldegalerie „Neue Meister“ im Albertinum sind ihm zwei große Räume gewidmet – Werke aus seiner Dresdner Zeit findet man hier allerdings nicht.

Und anläßlich des 90. Geburtstages präsentiert das Gerhard-Richter-Archiv der SKD derzeit die Ausstellung „Gerhard Richter. Portraits. Glas. Abstraktionen“ mit 40 Bildern und Objekten, die der Künstler in den drei zur Verfügung stehenden Räumen des Albertinums selbst ausgewählt hat uund von denen viele, wie SKD-Generaldirektorin Monika Ackermann stolz betont, „eine persönliche Bedeutung“ für ihn besitzen. Dazu zählen neben einem Selbstbildnis aus dem New Yorker Museum of Modern Art zweifellos die Gemälde, die seine Ehefrau Sabine und die Kinder Betty, Moritz, Thea und Ella zeigen. Diese werden ergänzt durch Landschaftsbilder, mit denen sich für Richter emotionale Erinnerungen verbinden. Es folgen abstrakte Bilder, vor allem aus seiner jüngsten Schaffensperiode, darunter das großformatige „Abstrakte Bild (952-4)“ von 2017, mit dem Richter nach eigener Aussage sein malerisches Œuvre abschloß. Im dritten Raum sind schließlich Werke abseits der Malerei zu sehen: die Objekte „9 Stehende Scheiben“, „Spiegel“ und „4900 Farben“ sowie der zehn Meter lange „Strip“ von 1989.

Auch das Museum Ludwig in Köln, das der seit 1983 in der Stadt am Rhein Lebende einmal als sein „Heimatmuseum“ bezeichnet hat, ehrt Richter mit einer Ausstellung. Bis zum 1. Mai zeigt es Werke des Künstlers aus seinem Bestand, darunter eines der bedeutendsten: „Ema – Akt auf einer Treppe“ von 1966, das erste farbige Fotobild Richters, das wegen der lebensgroßen Darstellung einer verschwommenen nackten Frau seinerzeit in der Bundesrepublik skandalisiert wurde.

Die Ausstellung „Gerhard Richter. Portraits. Glas. Abstraktionen“ im Albertinum in Dresden, Tzschirnerplatz 2, ist bis zum 1. Mai täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr zu sehen. Besucher-service: 0351 / 49 14 20 00

 https://albertinum.skd.museum/

Die Richter-Ausstellung im Kölner Museum Ludwig, Hein­rich-Böll-Platz, wird ebenfalls bis zum 1. Mai täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr gezeigt. Tel.: 0221 / 221 261 65

 www.museum-ludwig.de

Foto: Gerhard Richter im Dresdner Albertinum (Archivfoto 2017):  Er ist einer der teuersten Gegenwartskünstler