© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/22 / 11. Februar 2022

Satans fette Beute
Kino: Ein Spielfilm aus Mexiko zeigt, welche Existenznöte viele junge Menschen auf Fluchtrouten treiben
Dietmar Mehrens

Mexiko kommt nicht aus den Schlagzeilen heraus: Drogenkartelle, Mordserien und eine grassierende Korruption plagen das Land seit Jahrzehnten. Die Polizei ist oft mehr selbst das Problem als Mittel zu seiner Lösung. Am 1. Februar erreichte die Meldung über die Ermordung eines Journalisten, der im Bundesstaat Michoacán in korrupten Milieus recherchiert hatte, auch die Medien diesseits des großen Teiches. 

Wie das Ergebnis einer Recherche wirkt auch der Film „Was geschah mit Bus 670?“ Im Grunde ist er sogar selbst eine. Denn er handelt von einer Mutter (Mercedes Hernández), die sich auf die Suche nach ihrem verschwundenen Sohn Jesús (Juan Jesús Varela) begibt. Magdalena will sich nämlich nicht damit abfinden, daß der tot sein soll. Mehrere Wochen ist es bereits her, daß Jesús sich gemeinsam mit einem Freund aufgemacht hat, um sein Glück in den Vereinigten Staaten zu versuchen.

Jesús ist also ein Migranten-Prototyp, einer von vielen, die die amerikanische Innenpolitik fast so lange in Atem halten wie schwerkriminelle Banden das Nachbarland im Süden. Und natürlich versucht Fernanda Valadez in ihrer ersten Regie bei einem abendfüllenden Spielfilm auch die offensichtlichen Zusammenhänge zwischen dem Auswanderungsansinnen vieler extrem hoffnungsloser Bürger und den politischen Versäumnissen ihrer Regierungen aufzuzeigen. Das macht den Film gleichsam zu einem Globalkunstwerk. Schließlich sind die Motive für Massenmigration in Europa die gleichen wie auf dem amerikanischen Kontinent.

Erst war von beiden nichts mehr zu hören, und als schließlich die Leiche des jungen Mannes auftaucht, der sich an der Seite von Jesús auf den Weg ins gelobte Land gemacht hat, spricht für die Behörden alles dafür, daß auch Jesús selbst nicht mehr am Leben ist. Damit findet sich Magdalena aber nicht ab. Zu allem entschlossen reist sie in das Grenzgebiet im Norden Mexikos und findet heraus, in welchen Bus Jesús gestiegen ist. Damit befindet sich die resolute Frau freilich erst am Anfang einer nervenaufreibenden Spurensuche.

Symbolisch aufgeladene Bilder und schwermütige Stimmung

„Was geschah mit Bus 670?“ ist aber auch die Geschichte des jungen Miguel (David Illescas), dessen illegale Einreise in die USA mißlingt und dem die Kamera bei seiner Rückkehr nach Hause genauso verbissen auf den Fersen bleibt wie der Mutter von Jesús, die ihren Sohn nach Hause holen will. Ohne daß Magdalena und Miguel es ahnen, bewegen sich die Leidenswege der beiden Protagonisten aufeinander zu.

Zum Ende hin vermengt sich der quasi-dokumentarische Charakter des Filmdramas mit stärker symbolisch aufgeladenen Bildern. Ein Feuer irgendwo in der Steppe, in dem plötzlich die Konturen Satans erkennbar werden: Das wird manchen aufgeklärten Zuseher womöglich irritieren als absonderliches Abdriften ins Mystische. Andererseits ist es nur konsequent, wenn in einem vom Katholizismus geprägten Land auf das virulente Walten des Bösen, das in dem Film immer deutlicher und bedrohlicher zutage tritt, auch die Sphäre des Religiösen und Numinosen ins Spiel kommt.

In Anbetracht der bedrückenden Symbolik und der schwermütigen Stimmung, die der Film von Anfang an verbreitet, dürfte auch dem größten Optimisten irgendwann die Hoffnung ausgehen, daß die ganze Geschichte für Miguel und Magdalena noch irgendwie gut ausgeht. Und folgerichtig endet das authentisch wirkende Flüchtlingsdrama dann auch mit einem emotionalen Paukenschlag, der den Zuschauer vollkommen verstört zurückläßt.

Die Regiearbeit der 1981 im mexikanischen Guanajuato geborenen Fernanda Valadez ruft zwar viel Verständnis für die Motive und Empathie für die Einzelschicksale sogenannter Wirtschaftsflüchtlinge hervor, bleibt dabei aber stets unsentimental. Natürlich kann der Film keine Lösungsvorschläge offerieren. Und so bleibt am Ende eigentlich nur die ernüchternde Bilanz: „Ach, Junge, wärste doch zu Haus geblieben!“ Allen Hauptfiguren wäre dann nämlich das Schlimmste erspart geblieben. 

Kinostart ist am 10. Februar 2022