© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/22 / 11. Februar 2022

Zwei Kesselschlachten weckten falsche Hoffnungen
Im Frühjahr 1942 wurden Wehrmachtsverbände bei Cholm und Demjansk von der Roten Armee eingeschlossen / Entsatz gelang mit großen Opfern
Alexander Graf

Am Jahresbeginn 1942 fanden an der Ostfront zwei Kesselschlachten statt, die im Vergleich zum Vorjahr vertauschte Rollen aufwiesen. Waren es während des Unternehmens „Barbarossa“ die deutschen Truppen, die die Rote Armee immer wieder einkesselten und ihre Divisionen zerschlugen, waren sie nun die Belagerten. 

Zunächst gerieten die Deutschen in Cholm im Nordwesten der Sowjetunion in die Defensive. Die Stadt diente der Wehrmacht als Versorgungsbasis sowie Umschlagplatz und war nur leicht gesichert. Nach anfänglichen Partisanenangriffen ab dem 18. Januar und der seit Dezember 1941 nach Westen vorstoßenden Offensive der Roten Armee schloß sich der Kessel schon nach zwei Tagen. Zwar gelang es zunächst noch, kurzzeitig die russischen Linien zu durchbrechen und so Verstärkungen wie Sturmgeschütze nach Cholm zu bringen. Doch ab Ende des Monats war das nicht mehr möglich. Wie viele Landser genau eingeschlossen waren, darüber gibt es keine gesicherten Zahlen. Als Anhaltspunkt dient in der Forschung die Zahl von nachträglich 5.500 verliehenen Cholm-Schilden an die Verteidiger des Kessels. 

Nur wenige Tage später ereilte rund 95.000 deutsche Soldaten ein ähnliches Schicksal, als sich am 8. Februar bei Demjansk die russischen Angriffsverbände vereinigten. Das II. und X. deutsche Armeekorps erhielten von Hitler den ausdrücklichen Befehl, ihre Stellungen zu halten. So begann für die insgesamt sechs Divisionen ein monatelanger Abnutzungskampf. 

Auf dem Luftweg sollten die ausharrenden Landser mit Nahrung, Munition und Ausrüstung versorgt werden. Tatsächlich gelang der Plan – unter hohen Verlusten an Menschen und Material, auch wenn bis Mai 1942 fast 1.000 Verwundete aus Cholm ausgeflogen werden konnten. Der für die Luftversorgung zuständige Oberst Fritz Morzik sprach angesichts von 262 verlorenen Transportflugzeugen später von einem „negativen Erfolg“. Hinzu kamen knapp 400 Mann Verluste des fliegenden Personals, die als gefallen, vermißt oder verwundet gemeldet wurden. Bei der Luftbrücke für die Verteidiger in Cholm wurden weitere 55 Flugzeuge der deutschen Luftwaffe zerstört. Unterm Strich gingen somit über 300 Transportflugzeuge und über 400 Flieger verloren. Dabei kam es der deutschen Seite zugute, daß die russische Luftwaffe in jener Phase des Krieges nur über eine geringe Zahl von Jagdflugzeugen verfügte. Anderenfalls wären die deutschen Verluste womöglich noch höher ausgefallen. 

In Stalingrad glaubte man die Erfolge wiederholen zu können

Unter diesen schweren Opfern gelang es jedoch schließlich, auch den Kessel von Demjansk bis zum 21. April freizukämpfen. So konnten die Verteidiger, von denen beispielsweise die Waffen-SS-Division „Totenkopf“ 80 Prozent ihres Personalstandes während der Belagerung verloren hatte, wieder Verbindung mit den Verbänden außerhalb des Kessels aufnehmen. Die beiden erfolgreichen Kesselsprengungen von Cholm und Demjansk sollten letztlich ihren Teil zum Untergang der 6. Armee in Stalingrad Anfang 1943 beitragen. Dort wurden im November 1942 rund 300.000 Landser von der Roten Armee eingekesselt. Auch in dem Fall glaubte die deutsche Führung, diese aus der Luft versorgen zu können. 

Doch die Kräfteverhältnisse rund um die Stadt an der Wolga waren viel ungünstiger als bei den beiden anderen Militäroperationen. Hinzu kam, daß im Fall von Stalingrad dreimal mehr Soldaten per Luftbrücke versorgt werden mußten als in den beiden anderen Kesseln zusammen. Außerdem fehlten die dafür notwendigen Flugzeuge und Piloten nun. Während man versuchte, den Stalingrad-Kessel zu versorgen, kam der Verlust von weiteren 495 Maschinen hinzu. Das entsprach fünf Geschwadern. 

So sehr die Siege von Cholm und Demjansk auch als Beispiel für den Einsatzwillen und die Kampfkraft der Truppe propagandistisch herhalten konnten, sie weckten falsche Hoffnungen für die Zukunft.