© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 07/22 / 11. Februar 2022

Frisch gepreßt

Gottbegnadete. Im September 1944 ließ Reichspropagandaminister Joseph Goebbels eine Liste „Gottbegnadeter“ erstellen, die 378 Künstler und Künstlerinnen aus den Sparten Musik, Theater, Bildende Kunst und Literatur umfaßte. Damit  wurden diese, wie man heute sagen würde, Hochbegabten für „unabkömmlich“ erklärt und vom Wehrdienst oder Arbeitseinsatz befreit. Mit dem Schwerpunkt auf die bildenden Künstler unter ihnen, will das Deutsche Historische Museum deren fortwirkende Präsenz in der „visuellen Welt“ der Bonner und der Berliner Republik dokumentieren. Dessen Leiter, Raphael Gross, empfindet diesen Umstand, daß Erzeugnisse von „im NS aktiven Künstlern“ nach 1945 den öffentlichen Raum prägten, als „verstörend“. Es „irritiert“ diesen prominenten staatsfrommen Geschichtsideologen, daß sich „so viele Künstler“ auch nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur wieder hätten „anpassen“ können. Die zumeist im moralisierend-hämischen Ton gehaltenen Texte des Begleitbandes zur Ausstellung helfen Gross jedenfalls nicht, diese „Verstörung“ in den Griff zu bekommen. Weil sie nicht über die mentalitätshistorischen und kultursoziologischen Bedingungen einer relativ ungebrochenen Rezeption der Werke von Breker, Kolbe, Peiner, Eisenmenger oder Wamper aufklären, sondern sie beklagen wollen. So ist der Band selbst ein Zeugnis für den nicht durchschauten Zusammenhang zwischen Politik und Kunst, eben „hilfloser Antifaschismus“ (Wolfgang Fritz Haug). (ob)

Wolfgang Brauneis, Raphael Gross (Hrsg.): Die Liste der „Gottbegnadeten“. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik. Prestel Verlag, München 2021, gebunden, 215 Seiten, Abbildungen, 34 Euro





Geheim-Vatikan. Einem Grundübel kann auch Ulrich Nersinger in seinem Buch über die Spionage im Umfeld des Vatikan nicht ausweichen. Außer vielleicht nach einem siegreichen Krieg kann man in Ermangelung handfester Quellen über geheimdienstliche Tätigkeiten oft nur spekulieren. Und da die Archive am Heiligen Stuhl seit dem Sacco di Roma 1527 niemandem mehr offenlagen, helfen dem am Vatikan studierten Theologen und Mitglied der Pontificia Accademia Cultorum Martyrum seine intimen Kenntnisse nur bedingt weiter. Dennoch bietet Nersinger einen interessanten Rundumschlag über die geheimen Fäden, die vom Tiberufer aus über die Jahrhunderte gezogen wurden – und über gegenseitige Einflüsse von Mächtigen an europäischen Höfen, die auch mit Spionage die Besetzung des Heiligen Stuhls zu beeinflussen trachteten. Besonders interessant sind aber die Kapitel, die sich der Geheimdiensttätigkeit kommunistischer Staaten, insbesondere Polens, widmen, die bis 1989 eine rege Spitzeltätigkeit im Vatikan an den Tag legten. (bä)

Ulrich Nersinger: Schattenkrieg im Hause des Herrn. Katholische Kirche und Spionage. Verlag Petra Kehl, Künzell 2021, broschiert, 294 Seiten, 16,90 Euro