© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/22 / 18. Februar 2022

In keiner guten Verfassung
Antitotalitärer Konsens adé: Immer mehr Bundesländer wollen „Antifaschismus-Klauseln“ einführen / Kritiker warnen
Christian Vollradt

Wird demnächst die Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg geändert? Ja, wenn es nach dem Willen aller Fraktionen – außer der AfD – geht. Hintergrund ist eine gemeinsame Initiative der Bürgerschaftsabgeordneten André Trepoll (CDU), Mathias Petersen (SPD) und Farid Müller (Grüne). Sie wollen die Präambel der 1952 beschlossenen und vor zehn Jahren zum letzten Mal geänderten Verfassung mit folgendem Satz ergänzen: „Es ist die Pflicht aller staatlichen Gewalt, der Erneuerung und Verbreitung faschistischen Gedankenguts, der Verherrlichung und Verklärung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems sowie antisemitischen und extremistischen Bestrebungen gleich welcher Art und Motivation entgegenzuwirken und die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Freien und Hansestadt Hamburg zu bewahren.“

Zur Begründung heißt es unter anderem, die Stadt an der Elbe wolle „als weltoffene und liberale Metropole“ eine „Mittlerin zwischen allen Erdteilen und Völkern der Welt sein“, und dazu gehöre es, „faschistischem Gedankengut und seinen menschenverachtenden Irrlehren ebenso wie allen weiteren antisemitischen und extremistischen Bestrebungen, gleich welcher Richtung oder Motivation, entschieden entgegenzutreten.“

In einer Expertenanhörung im Januar lobte eine Mehrheit der Befragten den Vorstoß, ein solches Bekenntnis zur Bekämpfung von Nationalsozialismus und Antisemitismus als Mahnung in die Verfassung einzubauen. Mehrdad Payandeh von der Hamburger Bucerius Law School forderte, den Passus um den Kampf gegen Rassismus zu ergänzen. Wie mehrere andere kritisierte er zudem den Begriff „extremistisch“, der offenbar als Zugeständnis für die CDU enthalten ist. Zu „unscharf“, zu „problematisch“, so die Voten. Er sei ein Relikt der in der politischen Linken verpönten „Hufeisentheorie“, die Links- und Rechtsextremismus gleichsetzt. Dieser antitotalitäre Konsens wird jedoch schon lange in Frage gestellt. 

Auf diesem Weg läßt sich das Versammlungsrecht aushebeln

Gerade auf ihn verwies unterdessen der von der AfD-Fraktion nominierte Rechtswissenschaftler Ulrich Vosgerau. Die Väter des Grundgesetzes hätten Nationalsozialismus und Kommunismus als „gleichrangige Übel“ angesehen. Es sei daher nicht nachvollziehbar, warum „ein besonderer Extremismus herausgestellt werden soll“. Zusätzlich hat auch der Historiker und Publizist Karlheinz Weißmann (siehe Seite 19) ein Gutachten zu der geplanten Antifaschismus-Klausel in der Hansestadt verfaßt. Darin erläuterte er unter anderem, wieso die Gleichsetzung von Faschismus und Nationalsozialismus ideengeschichtlich vollkommen falsch und der „Antifaschismus“ ein manipulierter Kampfbegriff auch gegen Christ-, Sozialdemokraten und Liberale ist. Zudem gehe die Behauptung, das demokratische Gemeinwesen werde vor allem von rechtsaußen bedroht, an den vom Hamburger Verfassungsschutz ermittelten Zahlen und Fakten vorbei.  

Bisher sind sogenannte Antifaschismus-Klauseln – oder zumindest die Debatte darüber – vor allem ein Phänomen in den östlichen Bundesländern. Vorerst gescheitert ist die Einführung einer solchen in Sachsen. Dort sollte 2006 auf Initiative der Linkspartei ein neuer Artikel 12a in die Landesverfassung eingefügt werden: „Rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Aktivitäten sowie eine Wiederbelebung und Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts nicht zuzulassen, ist Pflicht des Landes und Verpflichtung aller im Land.“ Nicht nur die regierende CDU war dagegen, auch von den Grünen dort kam erstaunlicherweise harsche Kritik an dem Antrag: „Eine Antifa-Klausel würde die gesellschaftliche Auseinandersetzung auf rechtliche Auslegungsfragen verlagern, was denn rechtsextremistisch, rassistisch oder antisemitisch sei“, meinte der damalige rechtspolitische Sprecher der Partei im Landtag, Johannes Lichdi, während der Debatte. Und weiter: „Der Staat sollte sich keine Wischiwaschi-Ermächtigungen zur Einschränkung von Meinungen unter dem Etikett ‘Rechtsextremismus’ verschaffen wollen. Der Weg zur Unfreiheit ist mit guten Vorsätzen gepflastert.“

Im benachbarten Freistaat Thüringen war die Linkspartei in der Vergangenheit als Opposition zweimal erfolglos in Sachen Antifaschismus-Klausel, nämlich in den Jahren 2005 und 2012. Im Juni 2020 startete sie als Regierungspartei, die mit Bodo Ramelow auch den Ministerpräsidenten stellt, gemeinsam mit den Koalitionspartnern SPD und Grüne den nunmehr dritten Versuch, die Landesverfassung entsprechend zu ändern. 

Nun soll Artikel 1 um den folgenden Absatz ergänzt werden: „Die Abwehr der Wiederbelebung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, der Verherrlichung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems und rassistischer, antisemitischer oder menschenfeindlicher Aktivitäten ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt und Verantwortung aller.“ 

Begründet wird der so zum Staatsziel erhobene „Kampf gegen Rechts“, in den sich auch die „Zivilgesellschaft“ einzureihen hat, mit dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, den tödlichen Anschlägen in Halle und Hanau sowie mit den Taten des NSU. Thüringen stehe den Opfern des rechtsextremen Terrors gegenüber in einer besonderen Verantwortung. Es sei daher „alles zu unternehmen, um demokratie- und menschenfeindliche Einstellungen in der Gesellschaft und derartige Ideologien zu überwinden“. Andere menschenfeindliche Ideologien, andere Terroropfer? Fehlanzeige. 

Was der neue Passus nach dem Wunsch der Erfurter Regierungsparteien in der Praxis bewirken soll, machten sie in ihrer Begründung deutlich: „Strafrecht und Versammlungsrecht haben sich als wenig hilfreich erwiesen, der Verherrlichung des Nationalsozialismus und der Verhöhnung der Opfer wirkungsvoll den Weg zu versperren.“ Tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Rechtsextremisten könnte die Inanspruchnahme des Demonstrationsrechts dadurch noch weiter erschwert werden. Um die Änderung der Landesverfassung durchzubekommen, bräuchte Ramelows rot-grün-rote Minderheitsregierung die Christdemokraten. Heftige Kritik an dem Vorhaben kommt von der AfD.

Mecklenburg-Vorpommerns Landtag beschloß 2007 auf Initiative der Linken den Verfassungsartikel 18a: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker oder der Bürger Mecklenburg-Vorpommerns zu stören und insbesondere darauf gerichtet sind, rassistisches oder anderes extremistisches Gedankengut zu verbreiten, sind verfassungswidrig.“ 

In Bremen übernimmt die CDU eine Vorreiterrolle

Und in Brandenburg gibt es seit 2013 eine Antirassismusklausel in der Verfassung, gegen die die CDU ihren Widerstand schließlich aufgegeben hatte: „Das Land schützt das friedliche Zusammenleben der Menschen und tritt der Verbreitung rassistischen und fremdenfeindlichen Gedankenguts entgegen“, heißt es in Artikel 2. In Berlin darf sich gemäß Artikel 37 nicht auf die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinsfreiheit berufen, „wer die  Grundrechte angreift oder gefährdet, insbesondere wer nationalsozialistische oder andere totalitäre oder kriegerische Ziele verfolgt.“

Sachsen-Anhalt verfügt seit 2020 über eine Antifa-Klausel in der Verfassung. Der neue Artikel 37a lautet: „Die Wiederbelebung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, die Verherrlichung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems sowie rassistische und antisemitische Aktivitäten nicht zuzulassen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt und Verantwortung jedes Einzelnen.“ Alle drei Regierungsparteien – CDU, SPD, Grüne – stimmten dem zu. Die Zustimmung der dort eigentlich eher konservativ tickenden CDU kam durch einen Kuhhandel mit der Linkspartei zustande, die im Gegenzug die Schuldenbremse im Landeshaushalt akzeptierte.

Die Linkspartei verfolgt schon seit Jahrzehnten das Ziel, antifaschistische Klauseln in den Verfassungen der Länder und des Bundes zu verankern. Bereits 2001, also vor über 20 Jahren, versuchte sie – damals noch erfolglos – über eine Grundgesetzänderung den Artikel 26 zu erweitern. Dessen erster Absatz lautet: „Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“ Die Linksfraktion wollte einen antifaschistischen Passus unterbringen, demzufolge auch Handlungen in der Absicht, „nationalsozialistisches Gedankengut wieder zu beleben“, verfassungswidrig sind. Seinerzeit gab es keine Mehrheit im Bundestag dafür. 

Doch die jüngste Entwicklung in den Ländern beweist: Das Ansinnen der Linkspartei, durch Antifaschismus Bündnispartner zu gewinnen, hatte inzwischen Erfolg. Vorreiter im Westen war Bremen, wo die Partei seit 2019 mitregiert. Dort war es allerdings ausgerechnet die CDU, die vor zwei Jahren einen Antrag einbrachte, den Antirassismus in Artikel 19 der Verfassung des Stadtstaats zu verankern. Der Passus entspricht wortwörtlich dem in der geänderten Verfassung Sachsen-Anhalts. Im Mai 2020 legten die drei Regierungsparteien SPD, Grüne und Linke einen eigenen Antrag vor. Er erweitert den christdemokratischen ausdrücklich um „faschistische Bestrebungen“ und fügt  bewußt nicht näher definiert „weitere menschenverachtende Hetze“ hinzu. 

Der erste Schritt, die Verfassung zu ändern, ist an der Weser bereits im vergangenen Jahr vollzogen worden. Gerungen wird nur noch um die begriffliche Feinabstimmung. In Hamburg wird der Verfassungsausschuß voraussichtlich Ende März oder Anfang April seine Beratungen über die Antifaschismus-Klausel fortsetzen. 

 Das gesamte Gutachten von Karlheinz Weißmann finden Sie im Internet unter: https://jungefreiheit.de

Foto: Linksradikale Demonstranten mit Transparenten feiern „100 Jahre Antifa“ in Frankfurt am Main (2021) : Ideengeschichtlich falsch