© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/22 / 18. Februar 2022

Ländersache: Niedersachsen
Wieder eine Tradition brechen
Christian Vvollradt

Die Metropole an der Leine hat es nicht leicht: In einer Umfrage, welche die attraktivste Landeshauptstadt sei, landete Hannover jüngst auf dem vorletzten Platz. Nur Saarbrücken schnitt noch schlechter ab. Provinziell und langweilig sei Niedersachsens Regierungssitz, irgendwie ohne Reize. Hannoveraner widersprechen diesem Eindruck natürlich vehement und verweisen stolz auf die Attraktionen der Stadt, darunter das traditionsreiche und weltgrößte Schützenfest, das hier alljährlich ausgetragen wird. Nach den coronabedingten Ausfällen soll im kommenden Sommer endlich wieder gefeiert werden. 

Doch im Vorfeld gibt es erneut Ärger – den diesmal kein Virus, sondern das Stadtoberhaupt verursacht hat. Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) fordert, ab sofort auch Frauen für das Amt der Bruchmeister zuzulassen. Die sind für die Aufrechterhaltung der Ordnung während der Festlichkeiten verantwortlich. Bereits 1303 werden diese Beamten erstmals urkundlich erwähnt. Heute haben die vier vom Stadtoberhaupt für je ein Jahr ernannten Bruchmeister das letzte Ehrenamt der Stadt Hannover inne und übernehmen vor allem repräsentative Aufgaben. Dazu gehört unter anderem, die städtischen Standarten im Festumzug voranzutragen. Außerdem sind die Herren, zu deren Dienstkleidung ein schwarzer Cut sowie ein schwarzer Zylinder mit Kleeblatt gehört, auch nach Ablauf ihres einjährigen Amts anschließend als Mitglieder des Collegiums ehemaliger Bruchmeister mit Traditionspflege betraut. So schenken sie die hannöversche „Lüttje Lage“ aus, bei der kunstvoll mit einer Hand ein klarer Schnaps samt einem obergärigen Bier getrunken werden muß. 

Seit dem Mittelalter müssen die niederdeutsch auch „Brokeheren“ genannten Freiwilligen bestimmte Voraussetzungen erfüllen: nämlich ledig, männlich, maximal 35 Jahre alt, „von gutem Charakter und Leumund und natürlich unbescholten“ sein. Aber genau das will der OB noch in diesem Jahr im Namen der Gleichberechtigung ändern. „Frauen können alles werden, insbesondere in Hannover – auch Bruchmeisterinnen“, meinte Onay. Mit der Sportschützin Meike Hilbeck, Vorsitzende der Fraktion von Die Partei und Volt in der hannoverschen Regionsversammlung, stehe schon eine Interessentin bereit.  

Zwar stimmte der Verwaltungsrat der Schützenstiftung seinem Vorstoß zu, doch an der Basis regt sich Widerspruch. Umgehend startete ein ehemaliger Bruchmeister eine Online-Petition, die bei Redaktionsschluß über 800 Mitzeichner aufwies. Die, die an der Tradition festhalten wollen, weisen darauf hin, daß mit den von alters her geltenden Regeln ja nicht nur Frauen vermeintlich „diskriminiert“ werden, sondern auch verheiratete Männer ab 36.  

In einem Schreiben bat das Ehemaligen-Collegium den Oberbürgemeister, nichts zu überstürzen und den Stadtrat in der Sache einzubeziehen. Und die Bruchmeister versichern, sie hätten keinerlei Interesse, „daß die Erdbeerkönigin, die Spargelkönigin, Kornkönigin, Heidelbeerkönigin (derer gibt es fünf) oder die Kartoffelkönigin durch Könige ersetzt werden, gerade weil sie, wie wir, Botschafter des Landes Niedersachsen sind.“