© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/22 / 18. Februar 2022

Corona endlich ent-G-n
Maßnahmen: Langsam wollen die Länder lockern / Bayern hält die Impfpflicht in der Pflege für nicht umsetzbar
Jörg Kürschner

Im Eilverfahren hat das Bundesverfassungsgericht rund 300 Klagen gegen die Pflege-Impfpflicht abgelehnt und damit ein weiteres Mal die Corona-Politik der Bundesregierung gestützt. Diese sieht sich durch das vorläufige Urteil bestätigt, hat aber auf der Bund-Länder-Konferenz einer Lockerung der Maßnahmen zugestimmt, wie Kanzler Olaf Scholz (SPD) zuvor im Bundesrat angekündigt hatte. Ob und wann der Bundestag eine allgemeine Impfpflicht gegen Covid-19 verabschiedet, soll erst im März entschieden werden. 

Mit dem Richterspruch kann die vom Bundestag beschlossene Impfpflicht für das Pflege- und Gesundheitspersonal wie geplant ab dem 15. März umgesetzt werden. Aus rechtlicher Hinsicht. In den Augen der Karlsruher Richter hatten die Beschwerdeführer unter anderem nicht ausreichend dargelegt, daß „die in der begrenzten Zeit bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde möglicherweise eintretenden beruflichen Nachteile irreversibel oder auch nur sehr erschwert revidierbar sind“. Auch wenn das für „jene, die eine Impfung vermeiden wollen, vorübergehend mit einem Wechsel der bislang ausgeübten Tätigkeit oder des Arbeitsplatzes oder sogar mit der Aufgabe des Berufs verbunden“ sei. 

Politisch bestehen indes Zweifel, die insbesondere von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) artikuliert worden waren. Da die einrichtungsbezogene Impfpflicht in der jetzigen Form nicht umsetzbar sei, werde Bayern diese vorerst nicht umsetzen. Söders CDU-Kollegen Michael Kretschmer (Sachsen) wie auch Tobias Hans (Saarland) plädierten für eine Verschiebung um einige Monate. 

Söder – einst der selbsternannte Mannschaftskapitän des „Team Vorsicht“ und verantwortlich für weitreichende Freiheitsbeschränkungen im Freistaat – mußte sich heftige Kritik gefallen lassen, hatte München doch dem Gesetz im Bundesrat zugestimmt. Es sieht vor, daß die Beschäftigten Nachweise als Geimpfte oder Genesene vorlegen müssen – oder ein Attest, nicht geimpft werden zu können. Wenn ein Gesetz im Bundesgesetzblatt verkündet worden sei, „kann man nicht einfach sagen, ich setze das aus“, rüffelte der Präsident des Bundessozialgerichts Rainer Schlegel. 

Die Diskussion um die Impfpflicht für medizinisches Personal führte er auf eine „Angst vor einem Wust an Folgefragen“, etwa im Arbeitsrecht zurück. Nach Ansicht des höchsten deutschen Sozialrichters sieht das Gesetz ein klares Betätigungsverbot für ungeimpfte Mitarbeiter vor. Das wird etwa in Halle/Saale anders gesehen, wo mehrere Kliniken arbeitsrechtlich nicht gegen ungeimpfte Angestellte vorgehen wollen, wie eine Umfrage ergeben hat. „Wir werden weder ein Betretungsverbot noch Kündigungen oder Freistellungen aussprechen“, kündigte Krankenhausdirektor Tim-Ole Petersen an.

Union hat sich still und leise von der Impfpflicht verabschiedet

Unterdessen werden in der Politik immer neue Modelle für eine Impfpflicht vorgestellt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion warb für einen „gestuften Impfmechanismus“, bei dem je nach Infektionslage der Bundestag später eine Impfpflicht beschließt, die gegebenenfalls nur auf vulnerable Menschen oder gefährdete Berufsgruppen beschränkt ist. Genannt werden über 60- oder bereits über 50jährige, Berufsgruppen mit vielen Kontakten oder solche, die Teil der kritischen Infrastruktur sind, etwa Beschäftigte in Kitas, Schulen oder der Polizei. 

Die SPD lehnte den Vorschlag mit scharfen Worten („Katastrophe mit Ansage“) ab, wohl auch deshalb, weil mit dem Unionsantrag die auch von Kanzler Olaf Scholz (SPD) befürwortete allgemeine Impfpflicht in weite Ferne gerückt ist. Nicht zuletzt, da sich die Union unter ihrem neuen Vorsitzenden Friedrich Merz still und leise von der allgemeinen Impfpflicht verabschiedet hat, jetzt nur noch von Impfmechanismus spricht. Grund genug für SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, das Gespräch mit der Union zu suchen. „Es gilt aus den drei Vorschlägen zur Impfpflicht das Beste zu machen“, begründete er sein ungewöhnliches Vorgehen. 

Gemeint sind die weiteren Gesetzesinitiativen, Impfpflicht ab 18 oder ab 50 Jahren sowie die komplette Ablehnung. Die Bereitschaft zu Gesprächen werde eine der ersten Entscheidungen des neuen Fraktionschefs Merz sein, meinte Mützenich. Merz hatte sich bereits vor seiner Wahl mit den Vorbereitungen des Bund-Länder-Gipfels zu befassen, dem ein Beschlußentwurf für weitgehende Lockerungen vorgelegen hatte. Demnach könnten bis zum 20. März die meisten Corona-Regeln wegfallen. Im ersten Schritt soll etwa die 10-Personen-Regel für private Treffen gestrichen werden, zunächst aber nur für Geimpfte. Außerdem könnten die Zugangskontrollen im Einzelhandel wegfallen. Masken sollen aber weiterhin getragen werden, hieß es. 

In einem nächsten Schritt Anfang März sollen Gastronomie und Übernachtungsbetriebe auf die 3G-Regel umgestellt werden. Das heißt: Ab dann könnten auch Ungeimpfte wieder in Restaurants und Hotels gehen, wenn sie einen aktuellen Test vorweisen. Für Clubs und Diskotheken würde dann die 2G-Plus-Regel gelten, Zutritt für Geimpfte und Genesene plus aktuellem Test. In einem letzten Schritt soll die Homeoffice-Pflicht wegfallen.  

Das Papier beruft sich auf den Expertenrat der Regierung. „Mögliche Öffnungen sind kein Signal für ein Ende von Corona.“ „Spätestens im Herbst“ bestehe das Risiko erneuter Infektionswellen, heißt es warnend. Die Vorsitzenden der AfD-Fraktion, Alice Weidel und Tino Chrupalla, verlangten einen echten „Freiheitstag“. „Deutschland braucht jetzt keinen halbherzigen Stufenplan, sondern eine klare Öffnungsperspektive.“

Für eine fortgesetzte Einschränkung von Grundrechten fehle der Regierung jegliche Rechtfertigung. FDP-Vize Wolfgang Kubicki befürwortete darüber hinaus eine Aufhebung der Maskenpflicht. Zu guter Letzt machte auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gute Miene zum Pandemie-Öffnungsspiel. Hatte er in der vergangenen Woche bei Lockerungen noch vor täglich 500 Toten gewarnt und sich damit den zweifelhaften Titel eines „Angstministers“ eingefangen, dreht er vor der Bund-Länder-Schalte klein bei. Der Höhepunkt der Omikron-Welle sei überschritten, deshalb seien „maßvolle Lockerungen“ nun möglich.

 Kommentar Seite 2

Foto: Hinweisschild im Schaufenster eines Schuhgeschäfts: Bis Anfang März sollen weitere Einschränkungen wegfallen