© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/22 / 18. Februar 2022

Aufgabenstellung der Woche
Habe nun, ach!
Peter Freitag

Philosophie gliederte der alte Aristoteles bekanntlich in die vier Bereiche Logik, Ethik, Metaphysik und Staatslehre. Als Empiriker hätte er vielleicht seine helle Freude an jener Aufgabenstellung gehabt, die nun in Nordrhein-Westfalen (und darüber hinaus) für Aufregung sorgt. An einem Gymnasium in Siegburg sollten die Schüler im Fach Philosophie folgenden Fall besprechen: „Ein türkischer Familienvater in Deutschland verheiratet seine Tochter ohne deren Einverständnis mit dem Sohn seines verstorbenen Bruders, um diesem eine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland und damit eine Existenz zu sichern.“ Die zu identifzierenden Konflikte, die sich daraus ergeben könnten, beträfen in der Tat neben der Ethik zumindest auch das Staatsrecht und sogar die Naturwissenschaft ... Weniger an philosophischen Fragen interessiert schien indes die Föderation Türkischer Elternvereine Nordrhein-Westfalen zu sein, sie protestierte mit einem offenen Brief bei Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP). Man sei „fassungslos über eine extrem vorurteilsbehaftete und klischeehafte Aufgabenstellung“, hieß es darin. Es würde suggeriert, Türken würden ihre Töchter gegen deren Willen verheiraten, um so für Verwandte auf illegale Weise gesellschaftliche Vorteile zu erschleichen. Eine solche Aufgabenstellung bediene sich des Vokabulars rechtsradikaler Populisten. In einer Stellungnahme versicherte die Schulleitung, es sei weder die Absicht der Schule noch eines einzelnen Lehrers gewesen, Stereotypen zu nutzen, um dadurch andere zu verletzen. Das Gymnasium sei schließlich „‘Schule ohne Rassismus’, und das nehmen wir als Auftrag und Verpflichtung ernst“. Man entschuldige sich bei allen, die sich durch die Aufgabenstellung verletzt fühlten. Die Tugend, so Aristoteles, liege stets zwischen zwei Extremen. Tapferkeit beispielsweise ist dann die Mitte zwischen Tollkühnheit und Feigheit.