© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/22 / 18. Februar 2022

Ohnmenschliche Waffen
Drohnen: Bei unbemannten Kampfsystemen hinkt Deutschland hinterher
Alexander Graf

Es mag auf den ersten Blick überraschen, aber nun soll ausgerechnet unter einer Bundesregierung, an der die Grünen beteiligt sind, die Bundeswehr mit bewaffneten Kampfdrohnen ausgestattet werden. So steht es jedenfalls im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP – auch wenn sich in den Reihen der Jusos bereits neuer Widerstand formiert. 

Das Thema Bundeswehr und Kampfdrohnen hatte bereits die vergangene Große Koalition beschäftigt. Noch kurz vor der Wahl hatte der damalige Co-Parteichef der Sozialdemokraten, Norbert Walter-Borjans, entsprechende Pläne der seinerzeitigen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) abgelehnt. Es müsse zunächst eine breite gesellschaftliche Debatte darüber geben, lautete damals die Begründung aus dem Willy-Brandt-Haus. Doch nun ging es offenbar auch ohne. 

Daß es sich um einen längst überfälligen Schritt handelt, sieht auch Alexander Jag so. Der 32jährige ist Büroleiter des Privaten Sicherheitsunternehmens Global AG. Die Firma, die unter anderem in Afghanistan Teil der Präsenz westlicher Staaten war und derzeit in der Ukraine an der Ausbildung der dortigen Sicherheitskräfte beteiligt ist, setzt selbst Drohnen ein und entwickelt eigene Modelle. Als Fachmann kommt er gegenüber der JUNGEN FREIHEIT zu der Einschätzung, daß die Bundesrepublik schon längst hätte Kampfdrohnen anschaffen müssen, um im 21. Jahrhundert den nötigen Kampfwert herstellen zu können. 

„Russen und Chinesen denken über so etwas nicht nach“

Die in der Politik immer wieder vorgetragenen ethischen Bedenken darüber, eine Maschine auf dem Schlachtfeld über Leben und Tod von Menschen entscheiden zu lassen, gingen an der Realität vorbei. „Wir machen uns im Westen zu viele Gedanken darüber. Ethik ist zwar ein zentraler Bestandteil des westlichen Werteverständnisses, aber wir leben in einer globalisierten Welt mit Global Playern, die ihren Einfluß gerne ausweiten möchten.“ Die Frage über die Weiterleitung der Verantwortung für Leben und Tod gehe am eigentlichen Kern des Problems vorbei, betont Jag. „Denn die Russen und Chinesen denken über so etwas gar nicht nach.“ 

Außerhalb der westlichen Welt stellten sich diese ethischen Fragen gar nicht. Andere Staaten entschieden so schon für uns mit, lautet die Einschätzung des Sicherheitsexperten. „Technologisch geben wir das Tempo beim Thema Drohnen zwar vor, ethisch aber nicht.“ Die anderen schafften die Fakten. 

Wie effektiv Drohnen in Kämpfen eingesetzt werden können, zeigte der 44 Tage dauernde Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan im Spätsommer und Herbst 2020. Dieser wurde zwar überwiegend konventionell geführt, doch setzte das letztlich siegreiche Aserbaidschan Drohnen in hohem Maße ein. Experten sprachen angesichts dessen vom „ersten echten Drohnenkrieg“. Wie Jag erläutert, setzte Aserbaidschan dabei auf eine Art Köder-Taktik. 

Zunächst steuerten aserbaidschanische Piloten veraltete Kleinflugzeuge in den armenischen Luftraum und sprangen mit dem Fallschirm ab, bevor es für sie gefährlich wurde. Die feindliche Luftabwehr schoß die Flugzeuge problemlos ab. Doch durch ihr Feuer verriet sie ihre Positionen. In dem Moment nahmen aserbaidschanische Bayraktar-Kampfdrohnen aus türkischer Produktion sie ins Visier. So gelang es, die armenische Flugabwehr und auch Panzer sowie Truppenansammlungen effektiv auszuschalten. 

Bayraktar-TB2-Drohnen sind ein echter Exportschlager. Sie stammen aus einer Rüstungsfirma, deren Cheftechnologe der Schwiegersohn des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, Selçuk Bayraktar, ist. Sie kamen bereits in Syrien und Libyen erfolgreich zum Einsatz. Auch Polen kaufte die türkischen Drohnen, Lettland hat Interesse angemeldet. Und die Ukraine will mit ihren neuen TB2-Exemplaren das überlegene Rußland abschrecken.

In einem Arbeitspapier zu dem Konflikt der beiden Staaten um Bergkarabach kommt die Bun-desakademie für Sicherheitspolitik (JF 8/21) daher zu folgender Einschätzung: Der Krieg habe die Wirksamkeit der Kampfdrohnen gezeigt. Daraus leite sich zugleich die Notwendigkeit von Abwehrsystemen ab. Daher solle die Bundeswehr Kampf- und Aufklärungsdrohnen anschaffen, um selbst mithalten zu können. Vor diesem Hintergrund sei auch darüber nachzudenken, die Heeresflugabwehr wieder einzurichten. Die war im März 2012 außer Dienst gestellt worden. 

Während der Kämpfe bestätigte sich nämlich laut Einschätzung der Akademie die Wirkungslosigkeit herkömmlicher Flugabwehrsysteme gegen Kampfdrohnen. So sind auch gepanzerte Verbände ohne ausreichende Kurzstrecken-Flugabwehrsysteme äußerst verwundbar durch unbemannte Luftfahrzeuge, heißt es in der Auswertung. Dabei ist die Unterscheidung zwischen Beobachtungs- und Kampfdrohnen eigentlich Augenwischerei, wie Jag ausführt. „Der Übergang ist fließend.“ Im Grunde könne jede Drohne problemlos bewaffnet werden, indem Sprengkörper angebracht werden. Wie das firmeneigene Drohnenprogramm SPIT (Service Projected Intelligent Targeting) zeige, habe auch eine nicht im klassischen Sinne bewaffnete Drohne ihren ballistischen Wert. So könne sie – verstärkt um eine Metallspitze – eingesetzt werden, um beispielsweise Fahrzeuge zu stoppen. 

Neben der Bekämpfung von Zielen dienen Drohnen auch der Aufklärung. „Detektion und Identifikation sind die ersten Aufgaben der Drohnen, und dabei werden sie immer besser“, führt Jag aus. Im Zeitalter der zunehmend automatisierten Gefechtsführung sind sie für Streitkräfte praktisch unverzichtbar. Die Überwachungsfähigkeiten von Flugdrohnen werden künftig bei der Kontrolle von Grenzanlangen eine wichtige Rolle spielen. So bleiben Personen schon heute mittels Wärmebildkameras nicht mehr unentdeckt. Sollten künftig auch noch Hochfrequenzmikrofone bei der Kontrolle von Grenzen zum Einsatz kommen, werden sich Lücken für Drogenschmuggler und andere Kriminelle weiter schließen. 

Die asymmetrische Kriegsführung, die den USA und ihren Verbündeten seit dem 2001 ausgerufenen „Krieg gegen den Terror“ in besetzten Gebieten zu schaffen macht, werde so bald nahezu unmöglich gemacht, zeigt sich Jag überzeugt. 

Lesen Sie die Fortsetzung in der nächsten Ausgabe der jungen freiheit: Wie Roboterwaffen das Gefechtsfeld der Zukunft prägen und verändern werden

Fotos: Siegesparade des aserbaidschanischen Militärs mit Sky-Striker-Drohnen aus Israel: Der Krieg um Bergkarabach zeigte, wie dringend die Bundeswehr solche Waffen braucht; Kampfroboter der ukrainischen Firma Roboneers: Auch am Boden gewinnen unbemannte Waffensysteme zunehmend an Bedeutung