© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/22 / 18. Februar 2022

Grüße aus … Nikosia
Ein Bild wie bei Mad Max
Stefan Michels

Vergessen Sie Checkpoint Charlie. Wer das gespenstische Gefühl staatlicher Teilung unbedingt erleben möchte, wird in Zyperns Hauptstadt Nikosia fündig. Verblichene Propagandatafeln und vom Wind angefressene Flaggen markieren hier das Ende der westlichen Welt. Mitten durch die Altstadt zieht die befestigte Demarkationslinie, ein zusammengewürfelter Verschlag aus nachlässig aufgestapelten Betonklötzen und Ölfässern, garniert mit Stacheldrahtverhau und scheinbar verwaisten UN-Posten. Lustlos schieben griechische Soldaten Wachdienst, keine zwanzig Meter von der Mauer entfernt kreist der Wein in den Cafés. Eine surreale Mischung aus Mad Max und mediterraner Lässigkeit. 

Die wirtschaftlich nachteilige Nähe zur türkischen Besatzungszone ist Nikosia überall anzumerken. Obwohl Sitz der Regierung, ist die wirtschaftliche Dynamik längst in die wachsenden Touristenorte an der Südküste entschwunden. Während in Limassol ein Hochhaus nach dem anderen in die Höhe schießt, streifen Katzen durch das halb verlassene Zentrum der Hauptstadt. Mehr als anderswo auf der Insel lungern in den Gassen schwarzafrikanische Migranten herum, die scheinbar keiner geregelten Tätigkeit nachgehen. 

Die geopolitische Randlage am Saum von Europa und Asien hat schon immer das Schicksal der Insel bestimmt.

Die Randlage am Saum von Europa und Asien hat schon immer das Schicksal der Insel bestimmt. Inzwischen schlagen die Zyprioten jedoch offensiv Nutzen daraus. Seit dem Beitritt zur EU 2004 – formal der ganzen Insel, aber faktisch nur des Südteils – und später zur Eurozone bietet Zypern sich als Brückenkopf für russisches und asiatisches Kapital an. Das Geschäftsmodell erinnert an eine Mischung aus Offshore-Insel und Bananenrepublik: Im Gegenzug für Investments verleiht die Republik die Staatsbürgerschaft an zahlungskräftige Klientel, die sich damit den Zugang zum größten Binnenmarkt der Welt erkauft. Allein von 2017 bis 2019 kamen auf diesem Weg über 2.500 vermögende Ausländer in den Besitz eines zypriotischen Passes. Darunter auch zahlreiche russische Funktionäre, die sich so gegen die Machtverhältnisse in ihrer Heimat absichern und zusätzlich ihren Sonnenhunger stillen können. 

Das kurze Zeitfenster, das der EU-Beitritt und seine mögliche wirtschaftliche Dividende für eine Wiedervereinigung eröffnete, ist schon lange verstrichen. Sämtliche diesbezügliche Gespräche liegen seit Jahren auf Eis. Die Teilung Zyperns scheint permanent. 

Von Gegensätzen ist auch der Naturraum der Insel geprägt. Rund 90 Minuten dauert die Autofahrt von der Küste bis zum höchsten Berg, dem Olymp. Auf knapp 2.000 Meter Höhe wartet wohl eines der ungewöhnlichsten Skigebiete Europas. Umgeben von Zedernwäldern und britischen Abhörstationen reicht der Blick von den kurzen Pisten bis hinunter zum Meer.