© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/22 / 18. Februar 2022

Der neue Vater des Volkszorns?
Neuausrichtung: Bereits vor Monaten begann Kickl einen Prozeß zur Erneuerung der Freiheitlichen Partei Österreichs
Robert Willacker

In Österreich steht der eigentlich für Corona reservierte Begriff „Die neue Normalität“ mittlerweile auch für die seit über zwei Jahren andauernde Parteien- und Politikkrise rund um pikante Chatveröffentlichungen und staatsanwaltliche Ermittlungen zu Korruption, Postenschacher und geheimen Koalitionsabsprachen. Mittendrin: die Kanzlerpartei ÖVP, für die der bevorstehende Untersuchungsausschuß zum Spießrutenlauf werden dürfte.

Zwar halten die Grünen ihnen nach wie vor die koalitionäre Stange und sind bemüht, intern die Wogen zu glätten, aber trotzdem sieht man über kurz oder lang in allen Parteien bereits Neuwahlen am Horizont. Zuletzt waren es die Neos-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger und die Chefin der Sozialdemokratie, Pamela Rendi-Wagner, die dies forderten. Für die SPÖ-Vorsitzende wäre die Nominierung als Spitzenkandidatin aufgrund der traditionell zahlreichen innerparteilichen Ränkespiele bereits ein erster Sieg.

Bundeskanzler Nehammer stellt Impfpflicht in Frage

Etwas abseits dieses Gerangels entspann sich in den vergangenen Wochen für die Öffentlichkeit unbemerkt eine Richtungsdebatte in der FPÖ. „Von der nationalliberalen Honoratiorenpartei zur außerparlamentarischen Corona-Opposition“, titelte der freiheitliche Vordenker Andreas Mölzer unlängst in der von ihm herausgegebenen Wochenzeitung Zur Zeit und beschrieb damit einerseits die Genese der Freiheitlichen Partei in der Zweiten Republik, übte genau daran allerdings auch offene Kritik.

Zwar entspreche „das Eintreten gegen die Einschränkungen der Bürgerrechte in Corona-Zeiten der liberalen Tradition“ des Dritten Lagers, so wie „das Eintreten gegen die Massenmingration und der Kampf um die Erhaltung der kulturellen Identität des Landes der nationalen Tradition“ gleichkomme. Bisher im Vordergrund gestanden hätten diese Traditionen und deren ideelle Fundamente laut Mölzer „in der Kickl-FPÖ aber kaum“.

Die von Mölzer beschriebene Wandlung der FPÖ von der Honoratiorenpartei zu einer breiten und volksnahen Bewegung setzte bereits unter dem bis heute innerparteilich nachwirkenden Übervater Jörg Haider ein und wurde später auch unter Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache fortgeführt.

Im Zuge dessen machte auch das nationalliberale Parteiprogramm Platz für eine auf den Vorsitzenden zugeschnittene politische Populärkultur. Träger des jahrelangen Erfolgs war dabei einerseits die in Migrationsfragen inhaltlich harte Positionierung, mindestens genauso wichtig aber war das gewinnende Charisma und das gelegentliche Augenzwinkern des „Alten“, wie man den Vorsitzenden in freiheitlichen Kreisen bis heute gerne nennt.

Erst der vor kurzem ins Amt gehobene Parteichef Herbert Kickl brach im Zuge der Corona-Krise mit diesem Politikstil, indem er ihn kurzerhand ins Gegenteil verkehrte. Kickl hat zwar ebenso wie seine Vorgänger den Finger am Puls der Zeit, legt im Gegensatz zu diesen jedoch keinen großen Wert auf einen charismatischen Auftritt – weder nach innen noch nach außen und am allerwenigsten gegenüber den Medien. Im Gegenteil: In der Corona-Krise fand der Ex-Bundesinnenminister seine neue politische Nische in der Rolle als Vater des Volkszorns, der sich dieser Tage vor allem in den Reihen der politisch bunt zusammengewürfelten Teilnehmer von Corona-Demos Bahn bricht. Ob das auch so bleibt, falls die vor zwei Wochen eingeführte Impfpflicht wieder gekippt wird, wie Bundeskanzler Karl Nehammer öffentlich überlegt, ist unklar. Vorerst verläßt die FPÖ jedenfalls mit Kickl, so sagt er selbst, die „engen Mauern des Parlaments“ und verlagert sich kommunikativ stärker in den vorparlamentarischen Raum. 

Über viele Jahre war man es bei den Freiheitlichen auch aufgrund der Wahlerfolge gewohnt, dem Vorsitzenden in Stil und Inhalt der öffentlichen Präsentation widerspruchslos zu folgen. Die Neupositionierung der FPÖ als „außerparlamentarische Corona-Opposition“, wie Mölzer es in Anlehnung an die linksextreme APO der 70er Jahre formuliert, wird jetzt jedoch – und das ist das wirklich Neue – innerparteilich breit und kontrovers diskutiert. 

Zwar stößt eine kommunikative Kursverschärfung innerhalb der Funktionärsstruktur der FPÖ traditionell erst einmal auf offene Ohren, allerdings mehren sich derzeit auch die einflußreichen Stimmen, die eine Positionierung mit mehr Weitblick und über die Corona-Krise hinaus anmahnen. So plädierten unlängst unter anderem der Historiker  Lothar Höbelt sowie der FPÖ-Ehrenvorsitzende Hilmar Kabas für eine zwar kantige Interpretation der Oppositionsrolle, jedoch auch für eine wertegebundene und grundsätzlich regierungswillige Positionierung, um die Tür zu Regierungsbeteiligungen nicht selbst zu verschließen.

Im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT spricht sich der Chef der Wiener FPÖ-Landesgruppe, Dominik Nepp, ebenso für die staatspolitische Verantwortung der Partei aus: Der innerparteiliche Diskurs halte die Partei gesund. Daran habe es in den vergangenen Jahren vielleicht gemangelt. „Aber angesichts einer drohenden Umfrage-Mehrheit für eine linke Ampelkoalition aus SPÖ, Grünen und Neos halte ich es für die staatspolitische Verantwortung der FPÖ, sich als eine für breite Schichten wählbare Alternative zu SPÖ und ÖVP zu präsentieren.“ Die ÖVP protegiere ausschließlich Großkonzerne und vernachlässige den Mittelstand, während die SPÖ die Sozialmigration befeuere. „Hier hat die FPÖ die Chance, mit einer konsequenten ‘Österreich Zuerst’-Politik zu punkten,“ so Nepp. 

Auch der oberösterreichische FPÖ-Vorsitzende und dortige Vize-Regierungschef Manfred Haimbuchner spricht sich gegenüber der jungen freiheit für eine Regierungsbereitschaft seiner Partei auf Bundesebene aus. Man sehe in ganz Europa, „daß es einen Unterschied macht, ob Freiheit und Eigenverantwortung die Leitlinien von Regierungshandeln darstellen oder ob diese Tugenden völlig abwesend sind“.

Titelseite der freiheitlichen Wochenzeitung Zur Zeit: Die Frage der Neuausrichtung treibt um

Foto: Kickl auf der Straße: Wird das die neue Außerparlamentarische Opposition?