© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/22 / 18. Februar 2022

Spaltung führt zur Blockade des Parlaments
Montenegro: Expertenregierung löst sich nach einem Regierungsjahr auf / Rußland, Serbien und die EU suchen Einflußmöglichkeiten
Hans-Jürgen Georgi

Nicht unerwartet scheiterte Anfang Februar nach über einem Jahr die erste Regierung Montenegros, die ohne die Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) aufgestellt wurde: eine Expertenregierung. Zuvor waren die DPS und ihr Gründer und langjähriger Vorsitzender, Milo Djukanović, fast dreißig Jahre an der Macht. Die Wahl 2020 hatte ihm zwar eine knappe Wählermehrheit beschert, aber ihrem größten Konkurrenten, der Demokratischen Front (DF), gelang es, eine Mehrheit im Parlament zu organisieren, was der DF aber wiederum nicht zur Regierung verhalf. 

Das größte Vermächtnis Djukanovićs – dessen Amtszeit als Präsident noch bis 2023 reicht – und der DPS ist es, das Land in die Unabhängigkeit von Serbien und in die Nato geführt zu haben. Die DF sucht dagegen engere Bande mit Serbien.  

Durch die Einsetzung der Expertenregierung unter der Führung des Professors Zdravko Krivokapić wurde die DF aus der Regierung ferngehalten, doch die politischen Auseinandersetzungen fanden auf anderer Ebene, oft auf der Straße statt. 

So kam es bei der Inthronisierung des neuen Metropoliten der Serbisch-Orthodoxen Kirche, welche mit der DF verbunden ist, in Cetinje zu heftigen Protesten. Ein Grund für die Wahlniederlage Djukanovićs im Jahr 2020 war ein Gesetz, mit dem er versuchte, der serbischen Kirche einen Teil ihrer Besitztümer streitig zu machen. Er hatte ihren Einfluß im Volk unterschätzt.

Auch gegen die Einführung eines neuen Staatsbürgerschaftgesetzes kam es zwischen Montenegrinern, die 45 Prozent der Bevölkerung stellen, und Serben, welche 30 Prozent ausmachen, zu Auseinandersetzungen. So schwebt über den Montenegrinern ständig die Angst, daß ihre Unabhängigkeit vom großen Nachbarn in Frage gestellt wird.

Diese Befürchtungen sind nachvollziehbar, denn Serbien hätte durch Montenegro einen Zugang zum Meer. Aus diesem Grund warf auch Rußland immer einen scharfen Blick auf die Adriaküste. Noch 2016 versuchten Serben einen Putsch gegen Djukanović. Eine Beteiligung Rußlands wird vermutet. Geopolitisch ist Montenegro bedeutend. Mit seinem Nato-Beitritt 2017 sind die Küsten von Istanbul bis nach Tallinn fast durchgehend in der Hand der Allianz.

Deshalb hat auch die EU ein waches Auge auf die Regierungsbildung in dem kleinen Adriastaat. Gleich nach dem Sturz der Regierung Krivokapić mahnten die EU-Beauftragten Tonino Picula und Vladimir Bilčik eine „stabile parlamentarische Mehrheit“ an und machten warnend darauf aufmerksam, daß Montenegro „ein Teil der Nato“ sei. 

Die Frage der parlamentarischen Mehrheit stellt sich nun den montenegrinischen Politikern. Ob sie stabil sein wird, ist aber ungewiß. Mit der Bildung einer neuen Regierung hat sich der ehemalige stellvertretende Ministerpräsident, Damir Abazović, selbst beauftragt. Er würde ganz dem Geschmack der EU entsprechen, gehört er doch der ethnischen Minderheit der Albaner an, die etwa 5 Prozent der  Bevölkerung ausmachen. Weiter steht er der linksgrünen und proeuropäischen Partei URA vor, die aus einer Bürgerbewegung hervorgegangen ist. Nur einen Haken hat die Sache, sein Parteienbündnis belegt im montenegrinischen Parlament nur 4 von 81 Sitzen. Abazović ist nun auf der Suche nach Partnern. Er kann unter den kleinen Parteien auch fündig werden, für eine Mehrheit wird es aber nicht reichen. So hat sich der, als politisch tot gegoltene Milo Djukanović mit seiner proeuropäischen DPS bereits angeboten, eine angestrebte Minderheitsregierung zu unterstützen. Das ruft die Demokratische Front auf den Plan. Mit dem Verweis darauf, daß dadurch der Wählerwille verraten würde, hat sie schon „klar und kraftvoll“ angekündigt, „daß wir ganz Montenegro blockieren werden“.