© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/22 / 18. Februar 2022

Sollten Ungeimpfte ihre Covid-Krankenhausbehandlung mitfinanzieren?
Zahlen oder sterben
Ulrich van Suntum

Während im Ausland Corona-Maßnahmen gelockert oder aufgehoben werden, treibt bei uns die Debatte immer seltsamere Blüten. So schlägt etwa Stefan Dräger, Chef der gleichnamigen Lübecker Medizingerätefirma, vor, Impfverweigerern die „Krankenhausbehandlung auf Kosten der Allgemeinheit“ zu verweigern. Schon im November forderte die Kassenärztliche Vereinigung Berlin, Corona-Erkrankte ohne Impfung an den Behandlungskosten zu beteiligen. Das entspreche dem Verursacherprinzip. Die Einnahmen könnten den Pflegekräften auf den Intensivstationen zugute kommen. In den sozialen Netzwerken kommen solche Töne gegen „Coronaleugner“ gut an: Sollen sie doch zahlen oder sterben, wenn sie sich nicht impfen lassen.

Viele scheinen zu glauben, daß nur eine nahezu hundertprozentige Impfquote das Problem lösen könne. Daß auch Geimpfte das Virus sowohl weiterverbreiten als auch daran schwer erkranken können, wird dabei gerne ausgeblendet. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit einer schweren Covid-19-Symptomatik bei Ungeimpften wesentlich höher. Doch von den 9.000 Corona-Intensivpatienten um die Jahreswende waren immerhin 28 Prozent vollständig geimpft; weitere zehn Prozent waren genesen oder hatten zumindest einen teilweisen Impfschutz. Das sind zusammen 3.420 mit scheinbar Immunisierten belegte Intensivbetten.

Aber das gilt auch für viele andere „unvernünftige“ Verhaltensweisen. So sterben allein an den Folgen des Rauchens bei uns täglich 331 Menschen, vor allem an Lungenkrebs, COPD, Herzinfarkt oder Schlaganfall. Auch sie verursachen erhebliche Behandlungskosten, ohne direkt daran beteiligt zu werden. Ähnliches gilt für Alkoholiker, Drogenabhängige, Übergewichtige und die Betreiber von Risikosportarten. Gewiß, es gibt hohe Alkohol- und Tabaksteuern, auch über Strafsteuern auf ungesunde Lebensmittel wird diskutiert, aber wenn jemand an den entsprechenden Folgen erkrankt, wird er ganz selbstverständlich genauso behandelt wie alle anderen Patienten auch. Es gibt bisher auch keine Raucherzuschläge auf den Krankenkassenbeitrag, die werden nur bei privaten Lebensversicherungen fällig.

Dabei wären solche Differenzierungen noch am ehesten vertretbar, auch was den Impfschutz betrifft – dann aber nicht nur bei Corona. Im Wettbewerb der Kassen würde sich schnell herausstellen, ob solche Tarife angenommen werden und ob sie sich überhaupt rentieren. Von den Rauchern ist bekannt, daß sie per Saldo weniger Gesundheitskosten verursachen als andere, weil sie nämlich früher sterben. Ähnliches gilt für die Rentenausgaben. Zumindest bei älteren Ungeimpften würde diese – zynische – Rechnung vermutlich ähnlich aussehen. Die ökonomische Begründung für Zusatzbeiträge oder Zuzahlungen steht damit auf recht tönernen Füßen. Und: Wollen wir wirklich die soziale Solidarität an das private Wohlverhalten knüpfen?

Schnell sind wir dann bei einem Sozialpunktesystem wie in China (JF 20/19). Und wer einst die DDR verlassen wollte, wurde mit Waffengewalt daran gehindert – mit dem Argument, der Staat habe schließlich seine Ausbildung bezahlt. Lediglich „nutzlose“ und „teure“ Rentner durften gehen. Das war ökonomisch konsequent, aber ethisch wohl kaum akzeptabel. Auch wenn der Staat seine Bürger unterstützt, sind sie deswegen noch lange nicht sein Eigentum.






Prof. Dr. Ulrich van Suntum lehrte bis 2020 VWL an der Wilhelms-Universität Münster.