© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/22 / 18. Februar 2022

Empfindliche Rückschläge
Luftfahrt: Airbus weiterhin der größte Flugzeugbauer der Welt / Konkurrenz auf dem Sprung?
Fabian Schmidt-Ahmad

Der Himmel offen und weit, der Rivale Boeing am Boden – noch vor zwei Jahren schien die Zukunft für den Flugzeughersteller Airbus voller Verheißungen. Doch dann kam ein Virus – und die Nachfrage für Geschäfts- und Urlaubsflüge kam zum Erliegen. Auch im zweiten Corona-Jahr gab es wenig Erholung: Das weltweite Passagiervolumen lag bei 2,2 Milliarden – etwa der Hälfte des Niveaus von 2019. „Die deutschen Fluggesellschaften haben im Jahr 2021 52,5 Millionen Passagiere befördert und damit 68 Prozent weniger als im Vorkrisenjahr 2019“, klagt der Branchenverband BDL. 2020 waren es mit 40,2 Millionen zwar noch weniger, aber die Erholung verläuft langsamer als erhofft.

Doch der europäische Großkonzern spürt auch durch eigenes Verschulden wieder den Atem der Konkurrenz. Zwar bleibt Airbus weiterhin der größte Flugzeugbauer der Welt, doch muß das Unternehmen einige empfindliche Rückschläge hinnehmen. Die Konzernführung in Toulouse wird sich etwas einfallen lassen müssen, um künftig Marktführer zu bleiben. Ausgerechnet in der „Volumenklasse“ droht Ungemach. Diese Schmalrumpfjets mit hundert bis zweihundert Sitzplätzen waren für Fluggesellschaften bereits vor der Corona-Pandemie überaus wichtig, da hier Flugzeuge dank moderner Triebwerke auf einer Vielzahl von Kurz- und Mittelstrecken effizient eingesetzt werden können. Gerade in unsicheren Zeiten mit schwankenden Passagierzahlen wie jetzt benötigen Fluggesellschaften dieses Maximum an Flexibilität.

Mit der A320-Familie ist hier Airbus gut vertreten. Deren größtes und reichweitenstärkstes Modell, die A321XLR, kann mit Zusatztanks bis zu 220 Passagiere über rund 8.700 Kilometer befördern. Damit ist sogar eine Anbindung an den internationalen Flugverkehr von Kleinflughäfen aus möglich. Als das unmittelbare Konkurrenzmodell, die Boeing 737Max, aufgrund katastrophaler Konstruktionsmängel 2019 von einem weltweiten Flugverbot getroffen wurde (JF 5/20), hätte das die große Stunde von Airbus sein können.

Doch durch die Covid-19-Einschränkungen konnte Airbus diesen Vorteil nicht voll ausnutzen. Statt bei der Konkurrenz einzukaufen, waren Fluggesellschaften nun ganz glücklich, ihre bestellten Flugzeuge auf Boeings Kosten abgestellt zu wissen. Mehr noch, seitdem die überarbeitete 737Max 2021 ihre Flugzulassung erhielt und der weltweite Flugverkehr wieder anzieht, können die Amerikaner Exemplare aus ihrem Bestand – vermutlich zu Dumpingpreisen – auf den Markt werfen.

Airbus dagegen liefert sich zeitgleich einen peinlichen Streit mit einem wichtigen Kunden. Qatar Airways hatte die Abnahme von ursprünglich zwei A350 wegen Lackschäden verweigert, was Airbus nicht akzeptieren wollte. Tatsächlich setzt das Wüstenklima der Beschichtung arg zu. Das derzeitige Fazit nach gegenseitigen Beschuldigungen, Stornierungen und sonstigen Pampigkeiten: Qatar wird nach einem geplatzten Milliardendeal über fünfzig A320 Neo wohl bei der amerikanischen Konkurrenz bestellen. Diese hat sich in diesen Tagen mit einem Betrag von 2,5 Milliarden Dollar aus dem 737Max-Skandal freigekauft, in dem bei zwei Flugzeugabstürzen 189 und 157 Menschen starben. Auf den ersten Blick eine gewaltige Summe, jedoch mußte Airbus vergangenes Jahr eine Strafe von 3,6 Milliarden Euro zahlen. Grund waren die vergangenen Jahrzehnte, in denen Airbus mit Boeing aufschloß. Dabei soll die Kundenakquise wohl teilweise mit französischem Charme und schwarzen Kassen betrieben worden sein.

Wie lange noch bleibt Boeing der einzige ernstzunehmende Rivale?

Bleibt für Boeing der riesige Imageschaden, doch auch hier kann Airbus nicht glänzen. Vergangenen Sommer ließ ein Pariser Berufungsgericht ein Verfahren wegen der Katastrophe von Air-France-Flug 447 am 1. Juni 2009 mit 228 Toten zu. Zwar dürfte der Absturz letztlich auf Pilotenfehler zurückzuführen sein, doch wird wieder einmal die gewöhnungsbedürftige Ergonomie im Airbus-Cockpit im Fokus stehen, die schon bei anderen Flugkatastrophen mit zum Absturz beigetragen haben dürfte.

Statt einem Überflieger bleibt es also auf absehbare Zeit beim Hase-und-Igel-Spiel zwischen den beiden größten Produzenten von Zivilflugzeugen. Doch das Duopol muß nicht immer so bleiben. Die frühere Nummer drei im Flugzeugbau, Bombardier Aerospace, konzentriert sich zwar nach dem Verkauf der CSeries an Airbus, die das Modell nun als A220 unterhalb des A320 anbietet, wieder auf den Markt der Geschäftsflugzeuge, doch von woanders wächst Konkurrenz heran, die in die Königsklasse der großen Passagierflugzeuge aufsteigen will.

Da wäre die bisherige Nummer vier Embraer. Das brasilianische Unternehmen besitzt mit der erfolgreichen E-Jet-Familie einen unmittelbaren Konkurrenten zum A220. Eigentlich wollte Boeing den finanzklammen Südamerikaner aufkaufen, doch besitzt der Konzern nach dem 737Max-Diesaster selbst Liquiditätsprobleme und ließ den Vertrag 2020 platzen. Embraer, das verhältnismäßig gut durch die Krise kam, wird sich wohl nach neuen, solventen Partnern umschauen müssen. Und die kommen womöglich aus Asien.

Rußland kann auf eine lange Tradition des Flugzeugbaus zurückblicken. Aber nach dem Ende der Sowjetunion kam die Passagierflugzeugsparte jäh zum Erliegen. Erst 2011 startete die Serienproduktion des Suchoi Superjet 100, ein gemeinsam mit Boeing entwickelter Regionaljet, vergleichbar dem A220. Allerdings war dem Flieger bisher kein großer Erfolg beschieden, nicht zuletzt wegen internationaler Sanktionen, die sowohl Produktion als auch Vertrieb massiv behindern.

Zwar versucht Rußland gegenzusteuern, indem es derzeit eine Variante aus rein einheimischen Bauteilen entwickelt, doch dürfte dafür der Markt schlicht zu klein sein. Zwar hat das Riesenreich einen Bedarf an Flugzeugen, doch ist es einfach zu dünn besiedelt, um fehlenden Absatz im Ausland kompensieren zu können. Anders dagegen China mit seinen mehr als einer Milliarde Einwohnern. Mit erheblichem Aufwand beitreibt das ehrgeizige Reich den Aufbau einer eigenen Luftfahrtindustrie.

Ähnlich wie beim Autobau sollen zunächst Joint-Ventures mit westlichen Unternehmen benötigtes Wissen und Können in das Reich der Mitte transferieren, mit dem späteren Ziel nationaler Autarkie. Ein erster Ausdruck davon ist die Comac C919, ein Regionaljet mit bis zu 168 Passagieren, der 2022 in die Serienproduktion gehen soll. Während sein Vorgänger, die kleinere Comac ARJ21, noch auf einem westlichen Muster beruht, ist dieses Flugzeug eine Eigenentwicklung mit russischer Beihilfe.

Das Modell soll künftig nicht nur den großen chinesischen Binnenmarkt beherrschen, sondern auch im Ausland zur ernsthaften Konkurrenz für den A320 beziehungsweise 737Max heranwachsen. Gewiß, derzeit klingt das vermessen. Doch vor nicht allzu langer Zeit hätte sich niemand China als Werkbank der Welt vorstellen können. Und vor kurzem nicht als Hochtechnologieland. Womöglich steht also irgendwann nicht nur auf dem Radiowecker konkurrenzlos günstig „Made in China“.

Jahresbericht des Luftverkehrsverbands BDL: www.bdl.aero

Foto: Schaulustige in Shanghai fotografieren Start des chinesischen Mittelstreckenjets Comac C919: Eine Eigenentwicklung mit russischer Beihilfe