© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/22 / 18. Februar 2022

Alle Budgetgrenzen werden gesprengt
EU-Politik: Das „größte Konjunkturprogramm aller Zeiten“ ist ein intransparenter Zusatzhaushalt zu Lasten Deutschlands
Albrecht Rothacher

Das „größte Konjunkturprogramm aller Zeiten“ – so wirbt die EU-Kommission für ihren derzeit offiziell 806,9 Milliarden Euro schweren Wiederaufbaufonds „NextGenerationEU“ (NGEU, JF 27/21). Das erinnert an unselige Kapitel in der Geschichte, und der Effekt dieses schuldenfinanzierten Sonderetats wird wohl ähnlich negativ sein. Aber es gibt in Brüsseler Beamtenkreisen einen Spruch: „Was sind schon 440 Millionen? Eine Tasse Kaffee pro Einwohner!“ Für den steuerzahlenden Otto Normalverbraucher sind dies jedoch 880 respektable Einfamilienhäuser. Und das erklärt die jeweilige Perspektive.

Zudem gibt es aber weiter den normalen steuerfinanzierten EU-Haushalt (Mehrjähriger Finanzrahmen/MFR), der für den Zeitraum 2021 bis 2027 genau 1.074,3 Milliarden Euro umfaßt. Das sind 1,05 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aller Mitgliedsstaaten pro Jahr, umgerechnet auf diesen Zeitraum. 1993 bis 1999 summierte sich der MFR noch auf 1,28 Prozent des BIP der Mitglieder. Das Geld wird in die Landwirtschaft, für Regionalhilfen, für „Zukunftsinvestitionen“, das „Grenzmanagement“, für die östlichen und südlichen EU-Nachbarstaaten und als Hilfen für den Rest der Welt von Marokko bis Papua-Neuguinea zu hoffentlich guten Zwecken eingesetzt.

Ein wahrer Nebelschleier von obskuren Sprachhülsen

Laut den Berichten des Rechnungshofes (EuRH) werden die MFR-Milliarden oft verschwendet, ähnliches gilt für die über UN-Agenturen und NGOs als Projekthilfen sowie als Direktzahlungen an meist korrupte Regierungen ausgezahlten Gelder. Dazu kommen noch die eigenen Verwaltungskosten des Apparats in Brüssel, Straßburg und anderswo von 73 Milliarden Euro. Auch die Ausgaben für die Flüge von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im streßfreien Privatjet während des „Europäischen Jahres der Schiene“ deckt der MFR selbstverständlich ab. Neu ist das alles nicht – und die MFR-Billion ist bislang „nur“ etwa das Doppelte des deutschen Bundeshaushalt von 2021.

Doch die 27 Finanzminister – darunter Olaf Scholz unter Anleitung von Angela Merkel – beschlossen im Juli 2020 inmitten der Pandemie ein zusätzliches Finanzpaket von formal 750 Milliarden Euro. Es soll eine von den Mitgliedsstaaten und ihren Steuerzahlern garantierte und schuldenfinanzierte Konjunkturstütze für die EU sein. Das entspricht 0,7 Prozent des EU-BIP, was harmlos klingt. Aber es hat es in sich, denn es wurden dabei die vorinflationären Preise von 2018 zugrunde gelegt – nun sind es schon offiziell 806,9 Milliarden Euro. Zudem wird über jene Gelder, die schrittweise bis 2028 ausgezahlt werden sollen, ein wahrer Nebelschleier von obskuren Sprachhülsen gelegt: Neben „NGEU“ auch „React EU“, „Green Deal“ oder „Aufbau- und Resilienzfazilität“ (ARF).

Zu den konkreten Projekten hüllen sich die EU-Kommission und nationalen Finanzministerien bislang in eisernes Schweigen. Alles geht am EU- wie an den nationalen Parlamenten vorbei. Diverse Anfragen werden ausweichend beantwortet. Man muß kein Verschwörungstheoretiker sein, um die Absicht zu erkennen: Es geht wieder um einen Transfer vom Norden (Deutschland, Niederlande, Schweden, Österreich & Co.) in den sonnigen Süden von Portugal bis Griechenland. Das hat die EZB mit ihrer rechtswidrigen inflationstreibenden Ankaufspolitik von Staatsschulden auf Kosten der mittelständischen Sparer im Norden längst praktiziert (JF 13/21). Aber wem nützt es?

Deutschland, wo 18,6 Prozent der EU-Einwohner leben, bekommt beispielsweise aus der ARF (eingeplant 338 Milliarden Euro an Zuschüssen) des NGEU-Fonds gerade einmal 25,62 Milliarden Euro (7,58 Prozent der Zuschüsse). Spanien bekommt hingegen 69,52 Milliarden Euro (20,57 Prozent), Italien 68,9 Milliarden Euro (20,39 Prozent) und Frankreich 39,38 Milliarden Euro (11,65 Prozent). Das korruptionsanfällige Rumänien – mit nur 19 statt 83 Millionen Einwohnern – wird mit 14,24 Milliarden Euro (4,21 Prozent) bedacht. Das überschuldete Griechenland mit lediglich 10,6 Millionen Einwohnern (2,37 Prozent der EU-Bevölkerung) erhält sogar 17,78 Milliarden Euro (5,26 Prozent) – die 10,6 Millionen eher sparsamen Tschechen bekommen aber nur 7,08 Milliarden Euro (2,09 Prozent).

Herrschsucht, Amtsanmaßung und ökonomische Inkompetenz

Formal sollen alle jene Schuldenprogramme der Konjunkturbelebung dienen. Theoretisch löblich, gäbe es denn in den nächsten sieben Jahren eine vorhersehbare Rezession. Doch ist aktuell keine in Sicht. Angesichts des Nachfrageüberhangs und des teilweisen Zusammenbruchs der internationalen Lieferketten vor allem aus China sind solche staatlichen Zusatzausgaben real nur weiter inflationstreibend, also völlig kontraproduktiv. Der neue Geldsegen erhöht zunächst nur die Preise. Und die Inflation ist bekanntlich ein Enteignungsprogramm zu Lasten der Unter- und Mittelschichten zugunsten der Kapitalbesitzer und des verschuldeten Staates – oder im ARF-Fall zugunsten der klammen EU-Südländer.

Etwa die Hälfte der NGEU-Mittel sollen Zuschüsse sein, die andere Hälfte rückzahlbare Darlehen – sie treiben also die Staatsverschuldung der EU-Mitgliedsländer (aktuell im Schnitt etwa 95 Prozent des BIP) weiter hoch. Im Prinzip ist alles finanzierbar: Krankenhäuser, Arbeitsplätze für junge Leute, E-Autos, Wasserstoff, „klimafreundliche“ Wohnungsrenovierungen, die Mikroelektronik, die Digitalisierung der Verwaltung, Frauenförderung oder Kinderbetreuung, die Lehrlingsausbildung oder Klein-und Mittelstandsbetriebe. Eine „Recovery Task Force“ der EU-Kommission soll die „Fortschritte“ in den Mitgliedsstaaten kontrollieren und weitere Auszahlungen davon abhängig machen. Dazu kommen die politischen Erpressungsversuche gegenüber Ungarn oder Polen. In Summe eine Mischung aus Herrschsucht, Amtsanmaßung und ökonomischer Inkompetenz, die das heilige Haushaltsprivileg parlamentarischer Demokratien zugunsten intransparenter Verwaltungsentscheidungen in Brüssel aushebelt.

Aufbauplan „NextGenerationEU“: europa.eu