© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/22 / 18. Februar 2022

Zunehmende Aggression
Die Radikalisierung der Klimaschützer: Aus gehätschelten „Fridays for Future“-Aktivisten werden selbstklebende Blockade-Kämpfer
Christian Schreiber

Beinah schon ein gewöhnlicher Montagmorgen in Berlin. „Auch heute sind wieder Demonstrierende unterwegs. Aktuell ist die Ausfahrt Messedamm von der A100 (Richtung Neukölln) blockiert“, twittert die Verkehrsinformationszentrale Berlin (VIZ Berlin) um 8.00 Uhr. Drei Stunden später meldet die VIZ: „Der Bereich Messedamm und die Ausfahrt Konstanzer Straße wurden jetzt von der Polizei wieder freigegeben. Nun ist die Ausfahrt Oberlandstraße von der A100 (Richtung Wedding) blockiert.“ Yin Yang MingMiau twittert daraufhin: „Das sind keine Demonstrierenden und auch keine Demonstration, das ist ein willkürlicher Eingriff in den Straßenverkehr und Nötigung! Wer hier das Wort Demonstrierende benutzt, unterstützt strafbare Handlung!“

Das sieht auch der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) Rainer Wendt so: „Die Polizei tut das Notwendige. Eindeutig haben wir es bei den Blockaden mit Straftaten zu tun. Nötigung und gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr seien nur als Beispiele genannt.“

Öko-Aktivisten enttäuscht von SPD und Bündnisgrünen

Seit Wochen halten Öko-Aktivisten in Berlin Autofahrer auf. Hinter den Protesteten steht die Initiative „Essen Retten – Leben Retten“, die sich „letzte Generation“ nennt, die nicht nur die Geduld der Berliner Autofahrer quält, sondern auch die rot-rot-grüne Berliner Koalition entzweit. „Während Grüne und Linke Verständnis haben, lehnt die SPD sie ab“, resümiert der Tagesspiegel.

Die Aktivisten, die sich gern mit einer Hand auf den Asphalt kleben, fordern ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung und eine sofortige Agrarwende, um Klimagase aus der Landwirtschaft zu mindern. „Jährlich werden 18 Millionen Tonnen gute Lebensmittel in Deutschland weggeschmissen, was auch massive Emissionen mit sich bringt“, begründet die Initiative und reagiert gelassen, was mögliche Reaktionen seitens des Staates angeht. „Unsere Angst vor dem Klimawandel ist größer als die vor der Innenministerin“, twittert die Gruppe. 

Daß der sogenannte Klimawandel Wasser auf die Mühlen der Öko-Bewegung ist, ist dabei keine Neuerung. Ebenfalls eine Tatsache ist, daß die schwedische „Aktivistin“ Greta Thunberg sowie die Bewegung „Fridays for Future“ auffallendes mediales Wohlwollen genießen. Doch innerhalb der Protestgruppen hat sich eine gewisse Müdigkeit breitgemacht. Das hängt auch mit Corona zusammen. Und der Erkenntnis, daß viele Maßnahmen zwar bei Teilen der Politik auf offene Ohren stoßen, aber eben nicht unmittelbar umgesetzt werden. 

Eine Analyse des Wissenschaftszentrums für Sozialforschung Berlin (WZB) hält es daher für möglich, daß sich Teile der Klimabewegung radikalisieren. „Neben der bloßen Fortsetzung friedlich-harmloser Massendemonstrationen und weitgehend symbolischer Akte zivilen Ungehorsams wird eine Radikalisierung erwogen. Die Impulse dazu sind gesetzt, „Öko-Krieger“ sollen den Planeten retten, heißt es in dem Papier.

Als Hauptakteur in Deutschland wird Tadzio Müller benannt. Der 45jährige ist promovierter Politikwissenschaftler und Aktivist der ersten Stunde von „Fridays for Future“. Einige Zeit agierte er auch für die linke Rosa-Luxemburg-Stiftung. In einem Interview mit der tageszeitung machte Müller keinen Hehl daraus, daß er auch militante Aktionen befürwortet. Die bisherigen Blockadeaktionen würden nicht mehr ausreichen. Einfache Demonstrationen seien nicht mehr nachrichtenrelevant. „Das verstärkte Druckmittel der friedlichen Sabotage ist geboten. „Irgendwo muß ein materieller Schaden verursacht werden. Es muß klar sein: Wer jetzt neue fossile Investitionen plant, begeht ein Investitionsrisiko“, sagt er unverblümt. In einem Akt der „legitimen Notwehr“ solle man „bestimmte Dinge außer Betrieb setzen“, und dies „möglichst langfristig“. Angesichts der strukturellen Gewalt, die auf eine Zerstörung des Planeten hinauslaufe, sei es „legitim, wenn Menschen mit ihren bloßen Körpern Teile der fossilen Infrastruktur kaputtmachen.

Müller ist seit zwei Jahrzehnten in linken Protestkreisen aktiv, erst in der Anti-Globalisierungsbewegung, dann als Klimaaktivist. Die Welt sieht gar Anleihen an den Ursprüngen der linksterroristischen RAF. Auch damals sei es zunächst um Brandanschläge auf Kaufhäuser gegangen. Die Morde seien erst später hinzugekommen.

„Die Klimaproteste werden sich in naher Zukunft sehr wahrscheinlich radikalisieren, als Reaktion auf ein vermeintlich politisches Versagen beim Klimaschutz. In der Klimakrise kann sich die Bewegung gerade zwischen Irrelevanz und Militanz entscheiden“, sagt Müller und fügt hinzu: „Zerdepperte Autoshowrooms, zerstörte Autos, Sabotage in Gaskraftwerken oder an Pipelines. Das wird es nächsten Sommer auf jeden Fall geben. Ich höre das aus der Bewegung, sogar von eher moderaten Akteuren“, so Müller.

Vor Jahren war Müller einer der Mitbegründer der Anti-Kohle-Bewegung „Ende Gelände“, die vom Bundesverfassungsschutz als „linksextremistisch beeinflußt“ eingestuft wird. Die Entwicklung kommt nicht überraschend. Schon in den vergangenen Monaten haben sich Sicherheitsbehörden besorgt über eine Radikalisierung der Klimabewegung gezeigt. Bei „Fridays for Future“ konkurriert mittlerweile ein bürgerliches Lager mit einem antikapitalistischen. 

Die einen wollen eine schnellere Energiewende. Die anderen fordern dagegen einen kompletten Umsturz. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung weist darauf hin, daß „legitime Protestaktionen“ wie „Fridays for Future“ zunächst eine Schülerbewegung gewesen sei. Mehr und mehr hätten sich erfahrene Politaktivisten unter die Demonstranten gemischt. Diese Einschätzung deckt sich auch mit den Recherchen mehrerer Redaktionen. Wortführer wie Talkshow-Dauergast Luisa Neubauer hätten keinen uneingeschränkten Zugriff mehr auf die Gruppen, vielmehr müßten sie darum kämpfen, die Deutungshoheit zu behalten. 

Der moderate Teil der Klimabewegung zieht sich zurück

Auch politische Parteien versuchen, aus der Klimabewegung Kapital zu schlagen. Dies ist nach Angaben der BpB der pro-maoistisch-stalinistisch Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands aber nicht gelungen. „Wegen ihres penetranten Agierens auf Demonstrationen und der mangelnden Einhaltung von Regeln wirkte sie verstörend auf die übrigen Protestteilnehmer.“ 

Parteien sind für Aktivisten wie Müller ohnehin eher Mittel zum Zweck. Sie setzen – gut vernetzt mit Gleichgesinnten im Ausland – auf lose Organisationsformen. Und: Schuld an einer möglichen Eskalation sind sie jedenfalls nicht. Wenn jemand ein Gaskraftwerk sabotiere oder Autos zerstöre, sei das aus Müllers Sicht Notwehr. „Es ist legitim, Dinge kaputtzumachen“, sagt er. Wenn der Bevölkerung Klimaschutz wirklich wichtig wäre, „hätten die Grünen mehr als 14,8 Prozent bekommen“. Die Gesellschaft treibe Klimaschützer so in die Militanz, behauptet Müller.

Die Radikalisierung der Klimabewegung stellt die gerade erst regierenden Grünen vor eine maximale Herausforderung. Einen Vorgeschmack lieferte sie Auseinandersetzung zwischen der grünen Umweltministerin Steffi Lemke und dem FDP-Justizminister Marco Buschmann: „Es ist absolut legitim, für seine Anliegen zu demonstrieren und dabei auch Formen des zivilen Ungehorsams zu nutzen“, sagte die 54jährige auf einem Medien-Symposium. Buschmann konterte umgehend bei Twitter: „Ziviler Ungehorsam ist im deutschen Recht weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgrund. Unangemeldete Demos auf Autobahnen sind und bleiben rechtswidrig. Protest ist okay, aber nur im Rahmen von Recht und Verfassung.“

Lemke ruderte zurück und verwies darauf, daß radikale Aktionen auf keinen Fall geduldet werden könnten. Doch damit könnten die Grünen ihren Einfluß auf die immer extremer agierenden Aktivisten verlieren. Tadzio Müller prophezeit jedenfalls bereits das Aufkommen einer neuen RAF. Mit Fortschreiten der Klimakrise und mangelnder politischer Reaktion sei zu erwarten, daß ein kleiner Teil der Enttäuschten in den Untergrund gehe. Zuvor werde sich die Klimabewegung aber auch breit radikalisieren, nicht nur demonstrieren und blockieren, sondern eben auch zerstören.

Die spannende Frage ist, wie breite Bevölkerungskreise auf radikalere Aktionsformen reagieren werden. Bei „Fridays for Future“ wurde das „Schulschwänzen“ oftmals mit einem wohlwollenden Lächeln hingenommen. „Ein Protest verliert nicht automatisch seine Legitimation, wenn die Aktionsform illegal ist, selbst wenn es dabei um die Zerstörung von Gegenständen geht“, erklärte die Politikwissenschaftlerin Frauke Höntzsch von der Uni Augsburg gegenüber der tageszeitung.

Aber es sei eine Frage der Perspektive: „Letztlich entscheidet die Öffentlichkeit darüber, ob eine Sachbeschädigung in politischer Mission als gerechtfertigt gilt oder nicht.“ Eine feste Grenze gebe es aber: „Planmäßig ausgeübte politische Gewalt gegen Personen ist im demokratischen Rechtsstaat gleichbedeutend mit Terrorismus“, sagt Höntzsch.Möglich scheint folgendes Szenario. Der eher moderate Teil der Klima-Bewegung zieht sich frustriert aus dem politischen Geschäft zurück, steigt ins Berufsleben ein und gründet eine Familie. Entnervte Äußerungen wie die von Greta Thunberg, die die „etablierte“ Klimapolitik als „nur Blablabla“ bezeichnete, könnten darauf hindeuten. Andere, wie Luisa Neubauer, könnten eine politische Karriere bei den Grünen anstreben. Und der kleinere Teil dürfte sich weiter radikalisieren und am Ende außer Kontrolle geraten.

„Aufstand oder Aussterben?“ fragt Extinction Rebellion Deutschland

„Wir erleben natürlich eine große Desillusionierung, nachdem wir als junge Bewegung sehr viel geschafft, viele Menschen bewegt, den Diskurs komplett verschoben haben – aber die Emissionen immer noch nicht ausreichend sinken“, sagt Carla Reemtsma, Sprecherin von „Fridays for Future“ auf Bundesebene. Es gebe aber nicht nur eine, sondern ganz unterschiedliche Antworten. „Manche wollen sich tatsächlich stärker auf zivilen Ungehorsam fokussieren, andere sich zusammen mit Arbeiterinnen und Arbeitern organisieren, und die nächsten sagen, wir müssen in die Parteien“, sagt Reemtsma und fügt hinzu: „Daß eine Radikalisierung bis hin zu militanten Aktionsformen unausweichlich ist, da bin ich anderer Meinung als Tadzio Müller.“

„Aufstand oder Aussterben? Über die Klimakatastrophe, ökologischen Kollaps und zivilen Ungehorsam“, betonen die radikalen Klimaschützer von Extinction Rebellion Deutschland. Schon lange diskutierten „Politiker*innen über die Klimakrise, doch die Zeit rennt uns davon“, erklären die Aktivisten. „Unsere derzeitige Lebensweise zerstört unsere eigene Lebensgrundlage: Kurzum, wenn wir jetzt nicht handeln, stehen wir vor einem irreversiblen Kollaps! Wir können nicht länger auf die Schritte anderer warten, sondern müssen selbst aktiv werden. Es ist Zeit für eine bunte, gewaltfreie und internationale Rebellion.“

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 Meinungsbeitrag Seite 2

Foto: Öko-Aktivisten blockieren die Berliner Stadtautobahn A100 unweit des ICC: Schimpfende Autofahrer und ratlos erscheinende Polizisten