© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/22 / 18. Februar 2022

Ein Partisan mit Phantasie
Der Weg des Geistes ist der Umweg: Nachruf auf den Rechtsintellektuellen Günter Maschke
Eberhard Straub

Das geistige Elend des gegenwärtigen Deutschland, das sich als ewiges Westdeutschland begreift, ergab sich für Günter Maschke, am 7. Februar mit 79 Jahren gestorben, aus dem erbaulichen Politikverständnis von Verfassungspatrioten. Sie beachten beflissen das Gebot: denke harmlos an das Harmlose, das sich konsequent aus dem anderen Gebot ergibt, „verfolge jeden, der Begriffe gebraucht, die zu gefährlichen Positionen führen könnten“. Das frühere Spiel von Gymnasiasten, „Schiffe versenken“, wandelte sich daher, wie er spottete, zu dem leidenschaftlich betriebenen Spiel: Begriffe versenken. Bei diesem Spiel machte er nicht mit. Er bezog eindeutige Positionen und beharrte im Lande der Gemeinschaftskunde in der Tradition klassischer Denker auf klarer Begrifflichkeit.

In Erfurt 1943 geboren, wuchs er ab 1949 in Trier auf, bewahrte sich aber den Akzent seiner thüringischen Heimat. Mit Trier und der Mosel verband ihn später nicht viel. Doch Carl Schmitt begriff sich immer als Moselländer. Die Begegnung mit diesem Juristen, Philosophen, Soziologen und ausdrucksfrohen Literaten, erst über dessen Schriften und dann mit ihm persönlich, sollte für Günter Maschke und sein Denken nach einigen Umwegen entscheidend sein. Umwege halten nicht auf. Im Gegenteil, der Weg des Geistes ist der Umweg. Und auch der irrende Geist bleibt immer Geist. Seine Schulzeit verbrachte er in dem Land ohne Opposition, wie Otto Kirchheimer, ein linker Schüler Carl Schmitts, die Bundesrepublik 1964 beschrieb. In der deutschen Konsensdemokratie galt, wie gesagt, Harmlosigkeit als Zeichen eines gelungenen Lebens gemäß der Aufforderung: Seid nett zueinander, vergeßt nicht, daß es euch noch nie so gut ging, also schmeißt den Karren nicht um. Diese Ratschläge, brav und solide daran zu arbeiten, es zu gediegenem Wohlstand und Glück zu bringen, schlug der angehende Versicherungskaufmann in den Wind. 

Er brach als geistiger und praktischer Abenteurer mit der Welt philiströser Sicherheit und schloß sich 1960 zuerst der Friedensunion und dann der seit 1956 illegalen KPD an. Ihn verlangte es nach Opposition und Aktivität. Das veranlaßte ihn aber auch dazu, theoretische Begründungen zu suchen, die dem Handeln ein Ziel wiesen. In Stuttgart hörte er Vorlesungen von Max Bense, der die sogenannte Bürgerlichkeit als Lebensform als Welt von gestern hinter sich gelassen hatte und als Physiker, Philosoph und Ästhet an den Voraussetzungen für eine schöne Welt im technischen Zeitalter bastelte, in der sich Rationalität und Phantasie ergänzten. Bei Ernst Bloch in Tübingen widmete er sich, stets der Zukunft zugewandt, dessen hoffnungsfrohen Variationen über eine wahrhaft neue Zeit, in der neue Menschen, die Handeln, Geist und Schönheit miteinander im Einklang halten, die Übel in der Welt als Geschichte lindern und endlich aufheben. 

Der politische Aktivist suchte nicht die reine Theorie, sondern Hinweise wie Praxis und geistreiche Absichten vereint dazu verhelfen könnten, die unzulängliche Moderne mit ihrer bequemen Genußsüchtigkeit und ihrem Verlangen nach immer mehr Komfort zu überwinden. Günter Maschke verachtete die Kulturindustrie, den Kapitalismus und dessen imperialistische Absicht, sich alles zu unterwerfen und dienstbar zu machen. Er war ein Kulturrevolutionär und als solcher auch ein nationaler Revolutionär. Die besiegte Bundesrepublik als Satellitenstaat der USA mußte aus der „Westbindung“ befreit werden. Denn Bande und Fesseln sind kaum zu unterscheiden, wenn die freiwillige Westbindung eben zu Fesselung wird, die jede geistige und politische Selbständigkeit unterband.  Für einen solchen Staat, der gar keiner sein kann und will, weil Staat und Unabhängigkeit einander bedingen, lohnt es sich nicht zu kämpfen. Günter Maschke entzog sich 1966 dem Wehrdienst und wich nach Österreich aus, wo er in Wien gegen die USA agitierte und alsbald in Schwierigkeiten geriet und vorsichtshalber eingesperrt und dann 1968 nach Kuba abgeschoben wurde. 

Es war konsequent, die Kubaner, denen die USA ihre Selbstbestimmung verweigerten, zu unterstützen, wenn den Deutschen ebenfalls ihre Souveränität verweigert wurde. Günter Maschke empörte allerdings rasch die Despotie im Namen nationaler Unabhängigkeit. Er bekam mit der Partei und dem Regime schnell Ärger. Die Freiheit, die er meinte, suchte er von nun an nicht mehr als Sozialist oder Kommunist. Seine Erfahrungen hatten ihn gelehrt, Politik als Suchen nach der Wirklichkeit zu verstehen. Er beschäftigte sich von nun an mit konservativen, rechten oder reaktionären Denkern, eben mit Wirklichkeitswissenschaftlern. Der Reaktionär ist nicht rückwärtsgewandt, wie viele vermuten. Er schlägt nur einen anderen Weg wegen eines geschärften Sinns für die Gegebenheiten und Machtverhältnisse ein. Günter Maschke, der Revolutionär und Abenteurer, blieb freilich weiterhin der Partisan, der mit Phantasie und Geistesgegenwart Unterdrücker und Feinde in Verlegenheit, in Gefahr bringen wollte.

1970 in die Bundesrepublik zurückgekehrt, saß er seine Haftstrafe wegen Desertion ab. Er bestritt dem Staat nicht, berechtigt zu sein, die zu bestrafen, die sich seinen Befehlen verweigerten. Auch in der Partisanengruppe kam alles auf Befehl und Gehorsam an und die von beiden Postulaten ermöglichte Ordnung. Der Berufsrevolutionär und Streiter für die Souveränität des Einzelnen, auf den jeder souveräne Staat angewiesen ist, um souverän zu bleiben, wußte, daß es auf die Macht ankommt, auf Machtverhältnisse und deren nüchterne Berücksichtigung. Das trug ihm den Scherznamen Maschkiavelli ein.

Sein Nachdenken über die Macht und Machtpolitik brachte ihn unweigerlich mit der westdeutschen Ideologie des macht- und gewaltfreien Diskurses in Konflikt. Feinde gab es für die unermüdlichen Verfechter des ewigen Gesprächs nicht mehr, obschon sie jeden diskriminierten, der „gefährliche Gedanken“ äußerte und auf diese Art die Guten und Anständigen verwirren konnte. Als gefährlich wurde Carl Schmitt verurteilt, und von denen, die nur noch Freunde kennen, als Feind begriffen. In den Bann dieses genialen und eigenwilligen Denkers, der eine bemerkenswerte Schrift über den Partisan verfaßt hatte, geriet der junge Partisan und kam nie mehr von ihm los. 

Als Schmittianer, der es gelernt hatte, konkrete Ordnungen, den Staat und Großräume in ihrer Wirklichkeit und Machtentfaltung zu begreifen, machte er sich für wehrhafte und wahrhafte Demokraten und Verfassungspatrioten verdächtig. Diese schlossen ihn selbstverständlich, weil gefährlich, aus ihren menschenfreundlichen Zirkeln aus, in denen doch alle auf jeden zugehen und ihn in ihre Gespräche einbeziehen. In der FAZ konnte er einige Jahre Artikel veröffentlichen, aber er verlor die Lust daran, in diesem für ihn typischen Organ der „Systempresse“ zu veröffentlichen, obschon er durchaus als freier Mitarbeiter willkommen gewesen wäre.  Eine dramatische Szene, die Dolf Sternberger veranstaltete wegen des Nachrufs auf Carl Schmitt im April 1985, führte keineswegs zum Abbruch der Beziehungen mit Günter Maschke. Er hatte die Zusammenarbeit schon früher eingestellt. Als Autor konnte er in allen möglichen Zeitschriften, die dem „rechten Spektrum“ zugeordnet wurden, seine polemischen Artikel veröffentlichen, mit denen er ganz bewußt die leidenschaftlichen Verfechter einer westlichen Wertegemeinschaft herausforderte. Deren mangelnde Bereitschaft, sich auf seinen Witz und seine Ironie einzulassen, bestätigte eklatant, wie provinziell dies Westdeutschland war und blieb, wo nur Gleichgesinnte mit ihresgleichen umgehen und jeden diskreditierten, dessen Argumenten sie nicht gewachsen sind. 

Außerdem weckte es Neid und Mißgunst, daß er in Italien, Spanien, Ibero-Amerika und Frankreich bekannt und dort ein gefragter Gast war, eben um Gesprächen eine unerwartete Richtung zu weisen. Günter Maschke brauchte gar nicht viel von Internationalität und transnationaler Vernetzung zu schwadronieren, er konnte sich in mehreren Sprachen gleich temperamentvoll wie in seinem thüringischen Deutsch ausdrücken, wozu die meisten Diskursethiker hier in diesem Lande gar nicht fähig sind. 

Die internationale Aufmerksamkeit ergab sich aber auch vor allem aus seinen Studien zu Carl Schmitt und aus den beiden monumentalen  Editionen  gesammelter Aufsätze, früher zuweilen in ganz entlegenen Zeitschriften publiziert und deshalb in Vergessenheit geraten. Günter Maschkes Fußnoten und Anmerkungen erreichen gelegentlich den Umfang von Artikeln, bemüht, mit überreichen Verweisen Carl Schmitt in seine Zeit zu versetzen, um ihn mitten in weiten Zusammenhängen als europäischen Geist und europäisches Ereignis verständlich zu machen. Der wachsende Ruhm des Carl Schmitt, zu dem Günter Maschke erhebliches beitrug, mehrte auch sein Ansehen und seinen Ruhm unter den Kennern dieses Gelehrten, der, was dessen Feinde nicht verhindern konnten, als einer der letzten Repräsentanten deutscher enzyklopädischer Gelehrsamkeit und geistreicher Wissenschaftlichkeit gewürdigt wird. 

Was Carl Schmitt und Günter Maschke vereinte, war ihre grenzenlose Neugier, auch im irrenden Geist den Geist anzuerkennen, mit intellektueller Freude Ungewohntes aufzugreifen und gar keine Angst vor Gedanken zu haben. Denken kann weh tun, und selbst dann noch Vergnügen bereiten.  Beide verkörperten eine lateinische Mentalität, die Gelehrsamkeit mit Geselligkeit zu verknüpfen und immer wieder mit Überraschungen aufzuwarten, die frappierten und sehr geistreich unterhielten. Es ist deshalb gar nicht verwunderlich, daß auf italienisch sein letztes Gespräch in Il Primato Nazionale erschien, geführt mit dem jungen Althistoriker Valerio Benedetti, der sich vorzüglich in der deutschen Geistesgeschichte auskennt. Die von Deutschen manchmal fast wie Aussätzige behandelten wahren Europäer finden gerade Italiener oder Spanier anziehend, deren Gastfreundschaft Günter Maschke dankbar genoß und vor allem deren wahre Geistesfreiheit, die er hier schmerzlich vermißte.

Foto: Günter Maschke (1943–2022): Er wußte, daß es auf Machtverhältnisse ankommt