© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/22 / 18. Februar 2022

Kritischer Rückblick auf 100 Jahre Joseph Beuys
Schamanismus und Welterlösung
(dg)

Auf den im letzten Frühjahr multimedial inszenierten 100. Geburtstag des 1986 verstorbenen Künstlers Joseph Beuys blickt sein nachgeborener Kollege Till Gathmann mit gemischten Gefühlen zurück. Denn die Chance zur Neubewertung dieses „Monuments der westdeutschen Nachkriegskunst“ sei, wie er im altlinken Magazin Konkret (2/2022) beklagt, ungenutzt geblieben. Wie es jetzt zum guten Ton bundesrepublikanischer Gedenkkultur gehöre, habe man auch bei Beuys zwischen einer „problematischen“ Biographie und einem „progressiven“ Werk säuberlich geschieden. Daß aber gerade dieses Werk voller „geschichtsrevisionistischer und völkischer Implikationen“ stecke, sei ignoriert worden. Gathmann erinnert an Beuys’ spektakulären USA-Trip 1974, als eine New Yorker Galerie eine Performance von ihm zeigte. Auf einer Bahre liegend, ließ er sich vom Flughafen im Krankenwagen dorthin fahren, nur um nicht amerikanischen Boden zu berühren. In der Schau selbst habe ein Stapel des Wall Street Journal den gemeinsamen Feind der Deutschen und der indianischen Ureinwohner verkörpert. Dieser „Topos des klassischen deutschen Antikapitalismus“  führe ins Zentrum von Beuys’ Kunstverständnis. Daraus erkläre sich auch seine Affinität zur Esoterik, seine Rezeption der „psychiotischen Theorien“ Rudolf Steiners, die empathische Rede vom „deutschen Volk“ und von der ihm zugemuteten Aufgabe, die Welt vom Materialismus zu erlösen, sowie seine Begeisterung für grüne Ideologie, Schamanismus und direkte Demokratie. Es wäre daher endlich an der Zeit, in der Auseinandersetzung mit Beuys’ Kunst auch die völkischen Wurzeln der Ökologie aufzugraben. 


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