© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/22 / 18. Februar 2022

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Szenen einer Kindheit und Jugend in den letzten anderthalb Jahrzehnten der DDR: Als Fünfjähriger wirft sich der kleine Carsten zum Entsetzen der Erzieherin bei einem Ausflug mit vollem Karacho in eine mächtige Wasserpfütze. Später quälen ihn seine Eltern bei Sonntagsausfahrten mit Schlagermusik von Costa Cordalis, Rex Gildo und vor allem James Last so lange, bis er sich übergeben muß. Mit 14 entdeckt er dann in der Ortsbibliothek die Amiga-Ausgabe der AC/DC-Schallplatte „Highway to Hell“, und kurz darauf bekommt er im Kulturhaus „Juri Gagarin“ von zwei älteren Schülern eine Musikkassette mit der Aufschrift „!!! METAL/4.!!!“ zugesteckt. Sie ist für ihn wie ein Goldbarren: Judas Priest, Iron Maiden, Venom, Saxon und – Motörhead. Fortan war es um Carsten, den inzwischen alle nur noch Charly nennen, musikalisch geschehen. Heute ist Charly Hüber – dieses Jahr kann er seinen 50. Geburtstag feiern – einer der populärsten Schauspieler Deutschlands, sowohl auf der Theaterbühne als auch im Film (Das Leben der Anderen, Bornholmer Straße, Polizeiruf 100). Wie prägend die Speedrocker um Lemmy Kilmister für ihn waren und stets geblieben sind, erzählt er jetzt in dem anekdotischen Büchlein „Charly Hübner über Motörhead – oder warum ich James Last dankbar sein sollte“ (Kiepenheuer & Witsch, Musikbibliothek, Köln 2021, gebunden, 176 Seiten, 12 Euro). In einem FAZ-Interview Ende November vorigen Jahres erklärte er seine Vorliebe so: „Es gibt Tage, da kann ich nur Metal hören, weil der einen schützt vor allem anderen.“ Wie wahr!  Oder um es mit dem Motörhead-Song „Till the End“ zu sagen: „But one thing you will never lose/ Is the singing in your head/ That will still be with you till the end“.

Vor allem beeindruckte an Günter Maschke seine geistige Statur, die auf Unabhängigkeit pochte.

Klassikerfundstück: „Vor einem Schalter stehen: das ist das deutsche Schicksal. Hinter dem Schalter sitzen: das ist das deutsche Ideal.“ (Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke, Der Traum – ein Leben, in: Die Weltbühne vom 20. Dezember 1927)


Noch einmal zum Tod Günter Maschkes (Nachruf auf Seite 13 dieser Ausgabe), dem ich über viele Jahre hinweg immer wieder mal auf der Frankfurter Buchmesse begegnet bin. Noch heute erinnere ich mich lebhaft an die anregenden Gespräche mit ihm, sei es an unserem JF-Stand, sei es beim Karolinger Verlag. Was für ein großartiger Erzähler er doch war! Vor allem beeindruckte mich seine geistige Statur, die auf Unabhängigkeit pochte. Beispielhaft dafür steht eine Anekdote, die der Publizist Michael Klonovsky jetzt auf der Internetseite von Karolinger zum besten gegeben hat: „Zur Zeit des sogenannten Hauptstadtbeschlusses geriet Maschke in eine Straßenumfrage irgendeines TV-Senders, und die Reporter erkundigten sich, ob er Berlin oder Bonn als deutsche Hauptstadt wünsche. ‘Ich bin für Wien!’, erklärte Maschke. Niemand rede über Wien,

wurde ihm beschieden. ‘Aber ich!’“ Dieses „Aber ich!“, schreibt Klonovsky, sei ihm „zur stehenden Wendung, zum running gag, zum Zwei-Wort-Bekenntnis“ geworden und werde ihn zeitlebens an Maschke erinnern. Dem kann ich mich nur anschließen, ruhe er in Frieden!