© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/22 / 18. Februar 2022

Das Kinderheim am Rande der Stadt
Kino: „Das Mädchen mit den goldenen Händen“ lotet mitteldeutsche Befindlichkeiten der Nachwendezeit aus
Dietmar Mehrens

Andere seien für sie doch nur „arme Würstchen“, wirft Jens (Jörg Schüttauf) seiner alten Freundin Gudrun vor. Gudrun ist in einem DDR-Kinderheim aufgewachsen. Sie ist verheiratet mit Werner (Peter René Lüdicke) und hat eine Tochter, Lara (Birte Schnöink), deren Vater aber nicht Werner ist. Lara, das Mädchen mit den goldenen Händen aus dem Titel, arbeitet in der Hauptstadt am Theater und hat ein Buch veröffentlicht, von dem sie ihrer Mutter gern erzählen würde. Doch Gudrun (beklemmend authentisch verkörpert von der großartigen Corinna Harfouch) ist eine Frau, die es vorzieht, selbst die Koordinaten des Systems zu bestimmen, in dem die Menschen um sie herum sich bewegen. Deswegen besteht sie darauf, Lara an ihrem 60. Geburtstag erst mal selbst ein Geschenk zu machen, anstatt das ihrer Tochter zu öffnen.

Selbstgefällige Filmkunstwerke für den elitären Elfenbeinturm

Ausgerechnet an ihrem Ehrentag, zu dem viele Freunde und Weggefährten geladen sind, erfährt die resolute, zuweilen egomanisch auftretende Frau, daß das alte Gebäude, in dem sie ihre Kindheit verbrachte, an finanzkräftige Investoren aus dem Westen verkauft werden soll, die es zum Hotel ausbauen wollen. Nur so, meint Jens, der als Bürgermeister das Geschäft in die Wege geleitet hat, könnte das alte Gemäuer überhaupt erhalten bleiben. Doch Gudrun schaltet auf stur. Sie sprengt ihre eigene Geburtstagsfeier, verursacht einen Unfall, muß ins Krankenhaus und tritt schließlich in einen Sitzstreik. 

In kühlen Grautönen hat Regisseurin und Autorin Katharina Marie Schubert die Atmosphäre der Nachwendezeit in der ehemaligen DDR eingefangen, eine Zeit des Nicht-mehr und des Noch-nicht: Zehn Jahre nach dem Mauerfall gibt es die DDR mit ihrem Bevormundungsregiment nicht mehr, aber Lebensbedingungen wie im Westen herrschen noch lange nicht. Es werden Wessi-Ossi-Witze erzählt, das alte Kollektivdenken ist noch sehr lebendig, und auch die staatliche Gängelung der SED-Genossen steckt den Menschen noch in den Knochen. 

Gedreht wurde in Zeitz, Gleina und Gera, also in Sachsen-Anhalt und Thüringen. In drei Kapiteln, die ihren Hauptfiguren Gudrun, Lara und Werner gewidmet sind, entfaltet Katharina Marie Schubert, eigentlich Schauspielerin („Tatort“) von Beruf, ihre Geschichte. Doch leider ist, was sie zu erzählen hat, einfach zu substanzlos für einen abendfüllenden Spielfilm. Die Autorin glaubt, auf eine zündende Idee, eine gewaltige Intrige, ein schweres Zerwürfnis verzichten zu können. Und tatsächlich gibt es große Kunstwerke, in denen Langsamkeit und Stillstand Methode haben, Filme wie „Die Ewigkeit und ein Tag“ (1998) von Theo Angelopoulos zum Beispiel.

Doch nicht immer gibt es so klare ästhetische Gründe für quälend zähes filmisches Erzählen. Daß Schubert mit ihren herbstlich kühlen Bildern mitteldeutsche Tristesse einfangen wollte, ist unübersehbar. Trotzdem ist das Spielfilmdebüt der Schauspielerin mehr noch als ein Porträt mitteldeutscher Befindlichkeiten der Nachwendezeit ein Musterexempel dafür geworden, wie mit dem üppig gefüllten Staatssäckel der Filmförderung und dem dicken Haushalt der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (in diesem Fall MDR, HR und Arte) selbstgefällige Filmkunstwerke für den elitären Elfenbeinturm der Pseudo-Kunstverständigen produziert werden, bei denen die Kinosäle garantiert leer bleiben. Die Substanz, die in „Das Mädchen mit den goldenen Händen“ steckt, hätte für eine Kurzgeschichte oder Novelle ohne Frage ausgereicht, für einen Spielfilm ist der Stoff einfach zu dünn. Zu fesseln vermag einzig die wie immer souverän agierende Corinna Harfouch, die der starrköpfigen Hauptfigur und damit auch dieser Filmerzählung ihr ganz besonderes Gepräge verleiht.

Kinostart ist am 17. Februar 2022

Foto: Gudrun (Corinna Harfouch) bei ihrem 60. Geburtstag: Starrköpfig sprengt sie die Feier