© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/22 / 18. Februar 2022

Ächtung des Gegners als Prinzip
Die Geschichte des Antifaschismus vom kommunistischen Kampfbegriff zur Konsensformel bis in die Mitte der Gesellschaft
Karlheinz Weißmann

Der Antifaschismus erblickte unmittelbar nach dem Faschismus das Licht der Welt. Das hatte mit seinem Charakter als Gegenbewegung zu tun, die auf die Entstehung der faschistischen Milizen, dann der faschistischen Partei in Italien nach dem Ersten Weltkrieg, die faschistische Machtübernahme im Jahr 1922 und die folgende Durchsetzung einer diktatorischen Verfassung reagierte. Die mehr oder weniger strikte Kopie des italienischen Modells durch andere Formationen führte dazu, daß der Antifaschismus zu einem europäischen, dann globalen Phänomen wurde und in Gestalt der Alliierten des Zweiten Weltkriegs seinen bewaffneten Arm gefunden zu haben schien. Deren Triumph betrachtete man vielfach als „Befreiung vom“ oder „Sieg über den Faschismus“. Doch ein Teil der Antifaschisten sah keinen Grund zur Abrüstung. Obwohl spätestens nach dem Ende Franco-Spaniens kein politisches System mehr bestand, das sich als Erbe des historischen Faschismus betrachtete, und nirgends eine faschistische Partei von Bedeutung auftrat, erstarkte in der Nachkriegszeit ein zunehmend gesellschaftlich akzeptierter, militanter Antifaschismus, der seine Existenzberechtigung daraus bezog und weiter bezieht, daß er wahllos irgendwelche Mißliebigen oder politischen Gegner als „Faschisten“ bekämpft.

Nach 1945 galt der Antifaschismus als kommunistische Lockformel

Das ist das Ergebnis einer Degeneration, die sich nur erklären läßt, wenn man einen Blick auf die verschiedenen Hauptrichtungen des Antifaschismus wirft: den Moralischen, den Instrumentellen und den Binären Antifaschismus. In vieler Hinsicht bildet der Moralische den Ursprung des Antifaschismus. So sah der italienische Historiker Benedetto Croce im Faschismus „eine Verirrung des Gewissens, eine Verflachung des bürgerlichen Geistes und einen durch den Krieg verursachten Rauschzustand“. Dem sekundierte sein deutscher Kollege Friedrich Meinecke mit der Einschätzung, daß die europäische Geschichte durch Faschismus wie Nationalsozialismus eine „erstaunliche Umbiegung“ erfahren habe, die die Entwicklung des Kontinents von ihrer Hauptrichtung abbrachte. Eine Auffassung, die andere Liberale – etwa José Ortega y Gasset – oder Konservative – etwa Gerhard Ritter – ausdrücklich teilten, weil ihr Ideal eines zivilisierten, konstitutionellen, auf Machtkontrolle beruhenden Systems durch den Faschismus in Frage gestellt wurde.

Für die Konservativen trug der Liberalismus allerdings an diesem Prozeß eine Mitschuld, da er der Säkularisierung Vorschub geleistet und damit der „Revolution des Nihilismus“ (Hermann Rauschning) den Boden bereitet hatte. Eine Sicht, die am schärfsten durch die katholisch geprägte Philosophie vertreten wurde: zuerst von dem Österreicher Erich Voegelin, dann von der Französin Simone Weil, zuletzt von dem Italiener Augusto Del Noce. Sie alle waren sich einig darin, daß der Faschismus in erster Linie als Antwort auf den modernen Glaubensverlust zu betrachten sei, dessen Kind er war und den er gleichzeitig durch einen neuen Mythos zu überwinden trachtete. 

Die gemäßigte Linke teilte in vielem die Auffassungen des Moralischen Antifaschismus. Allerdings fand die Zustimmung ihre Grenze an den Vorgaben der marxistischen Lehre. Denn die behauptete zu wissen, was die Zukunft bringe: die letzten Klassenkämpfe im Kapitalismus, den Durchbruch des Proletariats und die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft. Das Auftreten einer Massenbewegung, die der Linken in den Weg trat, war nicht vorgesehen. Deshalb mußte man dem Faschismus seine Selbständigkeit als ideologische und organisatorische Größe bestreiten. Er sollte lediglich eine Weiße Garde im Dienst der Reaktion sein, „die sich – wenn auch keineswegs uneigennützig – einer Klasse im Kampf gegen eine andere zur Verfügung stellt“ (Giuseppe De Falco). Eine Formulierung, der Antonio Gramsci, der Kopf der italienischen Kommunisten in der Zwischenkriegszeit, grundsätzlich zugestimmt hätte. Auch er sah in den Faschisten nur den Bodensatz der Gesellschaft, Pöbel, der sich wissentlich oder unwissentlich als „Agent der Konterrevolution“ betätigte. Diese von Gramsci schon 1921 vertretene These fand innerhalb des kommunistischen Lagers außerordentliche Resonanz und wurde nach der Festigung des italienischen Regimes und Hitlers Regierungsübernahme dahingehend zugespitzt, daß die faschistische Herrschaft „die offene terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ sei.

Ein entsprechender Beschluß der Komintern erging im Dezember 1933. Da hatte Stalin allerdings schon eine Korrektur der Linie vorgenommen. Denn bis dahin war behauptet worden, „daß die Sozialdemokratie einen (objektiv gemäßigten) Flügel des Faschismus und keinen Gegensatz zu ihm“ darstelle und daß solcher „Sozialfaschismus“ als Hauptfeind zu betrachten und zu bekämpfen sei. Diese These ließ man bis auf weiteres fallen und setzte an ihre Stelle die Propaganda für eine „Antifaschistische Einheits-“ oder „Volksfront“, in der sich alle Antifaschisten, ausdrücklich auch die bürgerlichen, christlichen und sozialdemokratischen, sammeln sollten. Die Selbständigkeit entsprechender Organisationen war aber immer fiktiv. Die Kommunisten nutzten eine jener „gummiartigen Formeln“, in deren Gebrauch sie „Meister“ (Grigorij Sinowjew) waren und behielten die Kontrolle aus dem Hintergrund. Wer das Spiel durchschaute und ausscherte, sah sich prompt selbst als „Faschist“ markiert.

Der rein instrumentelle Charakter des kommunistischen Antifaschismus wurde spätestens während des Spanischen Bürgerkrieges erkennbar, als sich Stalin mit ungeheurer Brutalität seiner linken Bundesgenossen im Kampf gegen die „Faschisten“ entledigte. Parallel dazu liefen in der Sowjetunion Säuberungen ab, bei denen man sogar Altbolschewisten, Genossen, die aus Italien oder Deutschland entkommen waren, oder geflohene Juden als „Faschisten“ unter Anklage stellte und liquidierte. Wer trotzdem an der Vorstellung von Moskau als antifaschistischem Bollwerk festhielt, wurde nach Abschluß des Hitler-Stalin-Pakts auf eine weitere Probe gestellt. Denn die Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion, Deutschland und Italien mußte jedem wachsamen Beobachter bestätigen, daß Kommunismus, Nationalsozialismus und Faschismus nicht nur äußerliche Übereinstimmungen aufwiesen, sondern als totalitäre Systeme wesensgleich waren.

Diese Einsicht bildete die Grundlage des Antitotalitarismus, der seinen größten Einfluß in der Zeit des Kalten Krieges gewann. Damals war der Antifaschismus im Westen nur noch eine marginale Größe. Wer auch immer in der Stunde Null bereit gewesen war, einen „antifaschistisch-demokratischen Aufbau“ zu unterstützen, mußte rasch begreifen, daß es sich lediglich um eine kommunistische Lockformel handelte, die vor allem dazu diente, den Eindruck zu erwecken, daß der nichtkommunistische Rest des Planeten in der Hand von alten oder neuen Faschisten sei.

Finanzieller und logistischer Rückhalt selbst bei Bürgerlichen

Soweit die „Partei des Ostens“ (Ernst Nolte) im Westen diese Vorstellung mittrug, blieb sie einflußlos. Aber es existierte nach dem Zweiten Weltkrieg auch eine „Heimatlose“, dann „Neue Linke“, die sich irgendwo zwischen Kommunismus und Sozialdemokratie positionierte. Es gelang ihr zwar nie, eine starke Formation zu schaffen, aber sie gewann im Lauf der Zeit erheblichen intellektuellen Einfluß. Für die Attraktivität spielten marxistische Vorstellungen eine Rolle, aber den Ausschlag gab ein Weltbild mit klarer Rollenverteilung: hier Weiß, da Schwarz, hier das schlechte Heute, da das bessere Morgen, hier die Reaktion, da der Fortschritt, hier der Faschismus, da der Antifaschismus. Nach 1968 setzten sich derartige Vorstellungen in der Breite durch und mit ihnen ein „roter Code“ (Heinrich Dietz), der es erlaubte, jeden Gegner als „Neo-“, „Krypto-“, „Salon-“, „Quasi-“, „Halb-“ oder „Nazi-Faschisten“ zu bezeichnen.

Die theoretische Basis dieses Binären Antifaschismus blieb dürftig. Was die Wirkung aber gerade nicht behinderte. Denn es ging im Kern um eine manichäische Anschauung, die die eigene Seite als die gute, die andere als die böse bestimmte. Wer annahm, daß sich deren Reiz allmählich verlieren müsse, wurde ebenso enttäuscht wie derjenige, der mit einer grundsätzlichen Korrektur nach dem Zusammenbruch des Sowjetblocks rechnete. Denn nach der Niederlage der „Gesamtlinken“ (Jan Philipp Reemtsma) waren verbliebene Machtpositionen nur zu sichern, wenn man eine Offerte lieferte, die hinreichend unverdächtig und unter den neuen Bedingungen anschlußfähig war. Dafür bot sich ein Antifaschismus an, der zwar gar keinen Bezug mehr zu dem hatte, was in irgendeiner Form „faschistisch“ war, aber dem linken Lebensgefühl entsprach und geeignet schien, jenen aktivistischen Teil des Nachwuchses zu mobilisieren, der weder über historische Kenntnisse noch politischen Realitätssinn verfügte.

Seit den 1990er Jahren bildeten die „Autonomen“ den Kern dieser „Antifa“. Aufgrund ihrer Organisationsschwäche wurden sie verbreitet als zwar lästige, aber marginale Spielart des Linksextremismus betrachtet. Aber so unterschätzte man nicht nur die Möglichkeiten, die die moderne Technik zur eigenen Vernetzung und zur Ausforschung des Feindes bot, sondern auch die Bereitschaft der „Halbverrückten“ (Stefan Dietrich), nicht nur im linken, sondern auch im bürgerlichen Lager, finanziellen und logistischen Rückhalt zu liefern. Die Antifa kann deshalb heute auf eine breite Sympathisantenszene im politisch-medialen Komplex zurückgreifen und hat gleichzeitig Zugang zu allen möglichen nichtstaatlichen wie staatlichen Einrichtungen gewonnen, die sich an jedem neuen „Kampf gegen Rechts“ beteiligen, ganz gleich, ob es dabei um die Ächtung der AfD oder die „Black Lives Matter“-Proteste geht. Wenn dann im Namen des Antifaschismus „gehackt“ und „geoutet“, eingeschüchtert, eingebrochen, demoliert oder körperlich attackiert wird, findet das kaum öffentliche Empörung und nur ausnahmsweise polizeiliche Verfolgung. Was unschwer damit zu erklären ist, daß die sogenannte Mitte der Gesellschaft längst zum Träger eines einseitigen, weil antifaschistischen Konsens geworden ist.

Fotos: Solidaritätskundgebung für die spanische Volks-frontregierung, Amiens 1936: Instrumenteller Charakter; KPD-Plakat aus den zwanziger Jahren: Der „Sozialfaschismus“ der SPD als Hauptfeind; DDR-Staatsführung feiert 25. Jahrestag des Baus der Mauer: Faschisten sind immer die anderen