© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/22 / 18. Februar 2022

Hatte Trump doch recht?
Physikprofessor Roland Wiesendanger attackiert Virologe Christian Drosten für „Vertuschung“ des Sars-CoV-2-Ursprungs
Mathias Pellack

Verschwörungstheoretiker lieben das. Wir haben ein Motiv: Millionen Dollar, Euro und Yuan an Forschungsgeldern. Wir haben eine abgeschlossene internationale Clique: Virologen und Beschäftigte des Gesundheitssystems. Und wir haben zwei widersprüchliche Erzählungen, woher das Virus stammt. Mittendrin steht der Virologe Christian Drosten. Bekannt ist mittlerweile vieles über den Ursprung der Corona-Pandemie. Doch beide Theorien weisen noch immer entscheidende Lücken auf. Der Mainstream der Wissenschaftler, angeleitet unter anderem von Drosten, vertritt die Auffassung, daß Sars-CoV-2 ohne absichtliche menschliche Unterstützung aus seinem Fledermaushabitat über einen Zwischenwirt (Marderhunde, Schleichkatzen) auf dem Markt in Wuhan auf die menschliche Population übergesprungen ist. 

Ein Weg ohne Zwischenwirt scheint sehr unwahrscheinlich, da die genetische Distanz zwischen den Fledermausvarianten des Sars-Virus und der im Menschen vermehrungfähigen Form zu groß ist. Die genetische Übereinstimmung des bisher entdeckten nächsten Verwandten von Sars-CoV-2 aus Laos mit der Wuhan-Variante beträgt 96,8 Prozent. Die fehlenden 3,2 Prozent entsprechen einer Distanz von Jahrzehnten an evolutionärer Veränderung des Erbguts. Diese Theorie hat aber eine bedeutende Schwäche. Trotz intensiver Suche, bei der mehrere 10.000 Proben genommen wurden, konnte in zwei Jahren kein Zwischenwirt mit einem passenden Virus ausgemacht werden. 

Drosten hatte bereits am 19. Februar 2020 mit 26 Wissenschaftlern und staatlichen Gesundheitsexperten in einer in der bisherigen Wissenschaftsgeschichte einmaligen politischen Aktion eine Erklärung unterschrieben, in der es heißt: „Wir verurteilen gemeinsam auf das schärfste die Verschwörungstheorien, die besagen, daß Covid-19 keinen natürlichen Ursprung hat.“ Das schüre nur Angst, Gerüchte und Vorurteile, lautete die Begründung. Das Virus soll einen natürlichen Ursprung haben.

Der Hamburger Physikprofessor Roland Wiesendanger wirft ihm und seinen Mitunterzeichnern diese Einengung des Feldes redlicher Wissenschaft heute vor. Er spricht sogar von Vertuschung. Denn am 1. Februar 2020 war Drosten Teil einer Telefonkonferenz unter anderem mit dem Leiter der US-Gesundheitsbörde (NIAID), Anthony Fauci, der ebenfalls Regierungsberater ist. Wie aus jüngst veröffentlichten Abschriften der Kommunikation von Fauci rund um die Konferenz hervorgeht, war eine Mehrheit der teilnehmenden Wissenschaftler eher von der Laborhypothese überzeugt. Bis einige wenige Gegenspieler in scharfem Ton die Gruppe umlenkten, darunter eben auch Drosten.

Drosten korrigierte Wuhan-Studie, die von Gain-of-Function berichtete

Kurz darauf erscheint das erwähnte Dokument mit der Unterschrift des deutschen Spitzenvirologen für Coronaviren, von dem er heute sagt, wäre ihm bekannt gewesen, daß in Wuhan auch sogenannte Gain-of-Function-Forschung (GoF) betrieben wurde – also Versuche, bei denen Viren absichtlich so verändert werden, daß sie zusätzliche Fähigkeiten erhalten, durch die sie sich etwa schneller unter Menschen verbreiten können oder tödlicher sind –, hätte er „zumindest Rückfragen gehabt, bevor er unterzeichnete“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. 

Das mutet seltsam an, denn bisher zeigte sich Drosten immer als Befürworter der GoF-Forschung. Der Berliner Virologe lenkt den Verdacht auf Fauci: „Vor allem wußten ja einige Leute in den USA von diesen Versuchen.“ Drosten selbst war aber auch schon auf Konferenzen mit der Leiterin des Labors in Wuhan, Shi Zheng-Li, wie 2015 in Berlin. Des weiteren war er 2017 Redakteur für eine ihrer Studien, in der sie berichtete, Sars-CoV-1 mit anderen Viren gekreuzt zu haben, um die Übertragbarkeit im Menschen zu erhöhen. Ein klarer Fall von Gain-of-Function, meinen viele Wissenschaftler.

Nun zur zweiten Theorie über den Ursprung von Sars-CoV-2: Diese geht von einem Laborunfall aus. US-Präsident Donald Trump sprach daher am 16. März 2020 provokativ und völlig undiplomatisch vom „Chinese Virus“ und wiederholte das mehrfach. Denn in unmittelbarer Nähe des Marktes steht eines der wichtigsten Labore der Welt: das Wuhan Institute of Virology (WIV), deren Leiterin obige Shi ist. Wikipedia listet weitweit 61 Labore der höchsten Sicherheitsstufe BSL-4 auf. Besondere Bedeutung erhält das Institut durch die hohe Qualität der dortigen Forschung und die laxere chinesische Regulierung.

Dieses und das benachbarte BSL-3-Labor sehen die Anhänger der Laborthese als Ursprung der Pandemie. Denn im WIV wird ein anderer Verwandter von Sars-CoV-2 aufbewahrt: RaTG13, das zu 96,1 Prozent mit dem Pandemievirus übereinstimmt. Forscher aus Ulm konnten nachweisen, daß hier nur der Austausch einer einzelnen Aminosäure ausreicht, damit dieses Virus Menschen befallen kann, indem es an dem Rezeptor ACE2 andockt. Allerdings ist es dann noch nicht wirklich erfolgreich in der Verbreitung im Menschen. Zu einem echten Killer wird es erst durch eine weitere einzigartige Veränderung: durch das Einfügen einer Furin-Spaltstelle. Diese erleichtert wesentlich das Eindringen des Viruspartikels in die Zelle, um dort vervielfältigt zu werden.

Diese Spaltstelle ist recht häufig in der Evolution entstanden und könnte auch ein Produkt des Zufalls sein. Unwahrscheinlich macht das die Tatsache, daß keiner der nächsten Verwandten von Sars-CoV-2, die Sarbecoviren, eine solche Spaltstelle besitzt. Weiter besteht sie aus einer Insertion von vier Aminosäuren aus je drei RNA-Nukleotiden. Im Kode des Virus mußten sich also zwölf Buchstaben gleichzeitig verändern, genaugenommen ergänzt werden. Noch unwahrscheinlicher scheint der natürliche Ursprung durch den speziellen Aufbau der Furin-Spaltstelle. Sie folgt keinem bisher in Coronaviren bekannten Plan. Allerdings gibt es auch ein Argument gegen die Laborthese: Die Struktur ist nicht perfekt. Sie besitzt offensichtlich verzichtbare Teile, die eher dafür sprechen, daß sie nicht künstlich erschaffen wurde. Für den natürlichen Ursprung spricht auch die Tatsache, daß es bereits in Wuhan offenbar mehrere Linien, das sind Virusvarianten mit nur sehr wenigen Unterschieden, gab. Dieser Fakt legt mehrere parallele Übertritte auf den Menschen nahe, da das Virus  auch in der Population des Zwischenwirts mutiert.

Wahrscheinlich auch deshalb bewertete Drosten die Argumente weiterhin als „keinen Nachweis“ für einen nicht-natürlichen Sars-CoV-2-Ursprung, „auch wenn sie tatsächlich eine Auffälligkeit darstellt“. Er entgegnet Wiesendanger vielmehr, dieser „hätte ja mal anrufen können“. Eine Anfrage des Cicero zum moderierten Zwiegespräch hatte der Charité-Chef allerdings unbeantwortet gelassen.

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Foto: Der Direktor des Instituts für Virologie an der Charité Berlin, Christian Drosten: Erst bei konkreten Nachfragen rudert er stückweise zurück