© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 08/22 / 18. Februar 2022

Umwelt
Eine Milliarde Kippen
Paul Leonhard

Um den umgekippten Papierkorb sieht es aus, als hätten Rowdys gehaust. Das Rentnerpaar hat sofort herumlungernde Jugendliche in Verdacht, die grinsen und die leeren Verpackungen mit den Füßen wegstoßen. „Banausen“, sagt der Mann und liegt diesmal falsch. Die Übeltäter sitzen neben einer Parkbank und beobachten genau das Geschehen. Dann hüpft eine Krähe an einen weiteren Papierkorb heran, um ihn zu inspizieren – und das geschieht europaweit. Überall picken Vögel Nahrung aus Mülleimern, was ihnen nicht schmeckt, bleibt liegen und wird vom Wind verteilt. Die Städte reagieren darauf – mit dem Abbau jeglicher Papierkörbe oder dem Aufbau angeblich vogelsicherer. Doch die raffinierten Rabenvögel bauen gleich in der Nähe „ihrer“ Futterplätze Nester. Vertrieben werden können sie dann nicht mehr, weil sie bundesweit als geschützte Art gelten – egal wieviel Kot sie auf die Spaziergänger regnen lassen. Das kann auch Christian Günther-Hanssen, Gründer der Firma Corvid Cleaning, nicht verhindern.

„Wenn die fleißigen Krähen den Müll in eine spezielle Maschine legen, erhalten sie dafür Nahrung“

Aber dem Schweden ist es gelungen, wilde Krähen darauf zu trainieren, Zigarettenkippen und kleine Abfälle von den Straßen zu sammeln. Das Experiment läuft in der multikulturellen 100.000-Einwohner-Kommune Södertälje südlich von Stockholm. Der Trick: Wenn die Krähen den Müll in eine spezielle Maschine legen, erhalten sie dafür Nahrung. Die Kommune könne so mindestens 75 Prozent der Reinigungskosten einsparen. Denn es sei wohl möglich, Krähen beizubringen, Zigarettenstummel aufzuheben, glaubt der städtische Abfallstratege Tomas Thernström, nicht aber den Menschen, sie nicht auf den Boden zu werfen. Der Bedarf an derart fleißigen Krähen ist riesig. Schließlich landen laut der „Keep Sweden Tidy Foundation“ inzwischen jährlich eine Milliarde Kippen auf schwedischen Straßen, was 62 Prozent des Straßenmülls entspricht. Bleibt die Frage, wie mit dem Endprodukt des Verdauungsprozesses der Vögel umgegangen wird, mit dem Kot auf den dann stummelfreien Straßen.Rio duciet