© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/22 / 25. Februar 2022

Chrystia Freeland treibt in der kanadischen Trucker-Krise gefährliche Gesetze gegen die Protestler voran.
Notstand ohne Ende
Björn Harms

Getreu dem Motto „Folge dem Geld“ stellte Kanadas stellvertretende Premierministerin Christina „Chrystia“ Freeland in der vergangenen Woche das umfassende und autoritäre Maßnahmenpaket vor, mit dem ihre Regierung derzeit gegen unliebsame Trucker und ihre finanziellen Unterstützer vorgeht. Auf ihr Geheiß können Banken nun ohne Gerichtsbeschluß Konten sperren und müssen Internet-Spendenseiten den staatlichen Behörden bei Auffälligkeiten all ihre Daten offenbaren (siehe Seite 9). 

Dem Geld zu folgen ist für Freeland nichts Neues. Knapp zwanzig Jahre lang beschäftigte sich die 53jährige als Journalistin vor allem mit den Milliardären und Mächtigen dieser Welt. Die Harvard-Absolventin aus Alberta mit familiären Wurzeln in der Ukraine führte als freie Mitarbeiterin der Financial Times, der Washington Post oder des Economist zahlreiche Gespräche mit Dutzenden Wirtschaftsführern und gewann tiefe Einblicke in die Welt des digitalen Kapitalismus. Ihre Erkenntnisse mündeten 2012 in dem auch auf deutsch erschienenen, internationalen Bestseller „Die Superreichen. Aufstieg und Herrschaft einer neuen globalen Geld­elite“. Darin nähert sich die Mutter dreier Kinder dem Thema weniger aus aktivistischer als aus deskriptiv-analytischer Sicht und beschreibt, wie und warum der Einkommensunterschied zwischen den obersten 0,1 Prozent dieser Welt und der restlichen Bevölkerung in Zeiten der Globalisierung immer weiter anwächst. Mitunter wurden aus ihren Kontakten geradezu freundschaftliche Beziehungen. Im Jahr 2012 führte sie etwa ein ausführliches Interview mit George Soros, woraus der Gedanke erwuchs, eine autorisierte Biographie des Milliardärs zu verfassen. Trotz Ankündigungen ist diese Biographie jedoch nie erschienen.

Mittlerweile ist Freeland auch weltweit eine der mächtigsten Frauen. Auf Trudeaus Amt soll sie ein Auge geworfen haben.

Stattdessen brach Freeland mit ihrer journalistischen Karriere und ging in die Politik. 2013 wurde sie in Toronto als Abgeordnete für die Liberale Partei ins kanadische Unterhaus gewählt. Ab 2015 übernahm sie verschiedene Kabinettsposten unter Premierminister Justin Trudeau. Zunächst war sie Ministerin für internationalen Handel, ab 2017 dann Außenministerin. Im November 2019 übernahm sie den Posten der stellvertretenden Premierministerin und der Ministerin für zwischenstaatliche Angelegenheiten. Im August 2020 gab sie letzteren auf, um Finanzministerin zu werden.

Ihre weltweiten Kontakte zu den Eliten aus Wirtschaft und Politik hat sie dabei nie verloren. So wurde Freeland etwa mit dem Eric-M.-Warburg-Preis der Atlantik-Brücke für ihre Verdienste um die Stärkung der trans­atlantischen Beziehungen ausgezeichnet. Zudem ist sie seit 2019 Mitglied des Kuratoriums des Weltwirtschaftsforums, an dessen Treffen sie seit Jahren teilnimmt.

Mittlerweile ist Freeland auch weltweit eine der wohl mächtigsten Frauen. Immer wieder machen dazu Gerüchte die Runde, wonach sie die Nachfolge Justin Trudeaus antreten könnte und bereits ein Auge auf das Amt des Premierministers geworfen habe. Ihr Regierungsstil dürfte wohl kaum liberaler ausfallen. Das jüngst in Kanada beschlossene Notstandsgesetz erlaubt jene dystopischen Maßnahmen wie Kontensperrungen nur für dreißig Tage durchzuführen. Doch die ambitionierte Chrystia Freeland will mehr und triumphiert: „Einige der Instrumente, die wir ins Auge gefaßt haben, werden diesen Maßnahmen künftig Dauerhaftigkeit verleihen.“