© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/22 / 25. Februar 2022

„Nicht, was sie sagt, sondern was sie tut“
Linkspartei: Erst laufen die Wähler davon, dann die Parteiprominenten / Die ehemaligen Einheitssozialisten sind ziemlich gespalten
Paul Leonhard

Bei den SED-Nachfolgern hängt der Haussegen schief. Mal wieder. Ihnen ist ihre Wählerklientel abhanden gekommen, wie die 4,9 Prozent bei der Bundestagswahl gezeigt haben. Angesichts der Pläne der Linken für den sozial-ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft haben die bisherigen Sympathisanten lieber gleich das Original gewählt: Grüne und SPD. Es genüge eben nicht, „sozialdemokratische oder grüne Politik sozialer machen zu wollen“, ätzte der Landesverband Brandenburg, der die gesamte Linke „in ihrer Existenz bedroht“ sieht und skeptisch fragt, ob das der Parteiführung wichtigste Thema, die radikale und doch sozial verträgliche Klimawende, tatsächlich für einen Neuanfang tauge.

Einer der prominentesten innerparteilichen Kritiker hat nun auch persönliche Konsequenzen gezogen: Oskar Lafontaine, einst Chef der Linken, hat seinen Rückzug aus der Politik angekündigt. 

Grund: der derzeitige Kurs seiner Partei. „Es gibt immer zwei Optionen: Entweder man bleibt im Verein, verläßt aber das Programm. Oder man bleibt im Programm und wenn der Verein das Programm verläßt, muß man eben den Verein verlassen“, sagte der Noch-Fraktionsvorsitzende im Saarländischen Landtag. Seinen Genossen warf er vor, sich nicht mehr an den Problemen der arbeitenden Menschen zu orientieren. Das Wahlergebnis der jüngsten Bundestagswahl sage: „Ihr habt versagt!“ Mit Themen wie Diversität und Gendern könne man sich beschäftigen, aber sie dürften niemals das Programm einer linken Partei bestimmen. Das Kerngeschäft müsse die soziale Gerechtigkeit sein.

„Linke ist inzwischen in westdeutscher Hand“

Die frühere DDR-Ministerin Christa Luft, seit 1955 in der SED, verließ inzwischen aus Protest die Partei, von deren Führung sie „nicht den Anflug einer Analyse einschließlich Selbstkritik zur Aufklärung der Ursachen des Scheiterns“ habe erkennen können, deren Fraktionschefs aber „bruchlos weiter amtieren“. Anbiederei und das vernachlässigte Ost-Thema seien aus ihrer Sicht an der Wahlniederlage schuld. Diese nur auf Corona und Sahra Wagenknecht zu schieben, sei „ärmlich“. Der Kapitalismus stelle die Ungleichheit immer wieder neu her und zerstöre die natürlichen Grundlagen, heißt es in einem von der Parteiführung zum Jahresauftakt veröffentlichen Papier. Deutlicher wird der Liebknecht-Kreis Sachsen, der in einem Brief, dem das Rosa-Luxemburg-Zitat „Aber eine Partei ist nicht, was sie von sich sagt und glaubt, sondern was sie tut“ vorangestellt ist, der Linken-Spitze vorwirft: „Von Ausbeutung, Imperialismus und der Lösung der Eigentumsfrage (öffentliches Eigentum in der Daseinsvorsorge, an der gesellschaftlichen Infrastruktur, in der Energiewirtschaft und im Finanzsektor) wird nur noch selten gesprochen.“

Von den Parteivorsitzenden Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow komme „weder eine tragfähige Analyse der verheerenden Niederlage“ bei der Bundestagswahl, „noch ein Neustart oder eine Kurskorrektur hin zu einer kämpferischen sozialistischen Partei“. Der interne Streit, ob die Linke überhaupt noch sozialistisch ist und falls ja, die richtigen Anführer habe, hat alle Landesverbände und Flügel erfaßt. 

Nahezu vier Fünftel der Gesellschaft, das gesamte Dienstleistungsproletariat, kommen in der Wahrnehmung der Linken kaum vor, ist etwa der Vorsitzende des Linken-Ältestenrates Hans Modrow überzeugt. Ausgebrochen ist auch wieder der alte Streit zwischen Ost- und West-Linken. Er könne sich des Eindrucks nicht erwehren, so Modrow, „daß die Partei wie seinerzeit das östliche Land inzwischen in westdeutscher Hand“ sei und deren Vertreter den Ton angeben. Diese müßten daran erinnert werden, „wofür Generationen gekämpft haben: nämlich nicht für die Stabilisierung des kapitalistischen Systems, sondern für dessen Überwindung“. Die „faktische Vernachlässigung des Ostens in den vergangenen zehn Jahren“ hält inzwischen auch Fraktionschef Dietmar Bartsch für einen „grandiosen Fehler“. 

Wenigstens eine Genossin setzt derweil in Berlin linke Ideen um. Zwar nicht wie erhofft als Bundesarbeitsministerin, aber immerhin als Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales im rot-grün-rot regierten Berlin – Katja Kipping. Die 43jährige, die acht Jahre Parteivorsitzende der Linken war, sagte der zerstrittenen Kleinstfraktion im Bundestag Lebewohl und will nun demonstrieren, was sie unter einem sozial-ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft versteht.