© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/22 / 25. Februar 2022

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Jeder wie sie will
Christian Vollradt

Da war mal wieder richtig Stimmung im Plenum. Und das bei einem Thema, das verglichen mit anderem gerade eher – nun ja – randständig ist: dem Internationalen Frauentag. Kaum hatte die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch (AfD) mit ihrem Redebeitrag begonnen, notierten die Stenographen bereits wütende Zwischenrufe aus den Reihen der Grünen: „Jetzt reicht’s!“, „Ekelhaft“ oder „Aufhören! Aufhören!“ und sogar „Halten Sie Ihre Fresse!“ – wobei an dieser Stelle kein Ordnungsruf erfolgte. 

Mit was hatte die Politikerin ihre politischen Mitbewerber so in Rage versetzt? Nun, sie hatte jenes Mitglied des Bundestages erwähnt, das als Markus Ganserer für die bayerischen Grünen kandidiert hatte und nach erfolgreicher Wahl als Tessa Ganserer im Reichstagsrund Platz nimmt. Wörtlich sagte von Storch: „Wenn der Kollege Markus Ganserer Rock, Lippenstift, Hackenschuhe trägt, dann ist das völlig in Ordnung; es ist aber seine Privatsache.“ Biologisch und juristisch sei und bleibe er ein Mann. Und wenn er im Bundestag als Frau geführt werde, „dann ist das schlicht rechtswidrig“, so die Juristin, um dann sogleich das über sie gefällte Urteil vorwegzunehmen: „Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, meint, jeder, der Herrn Ganserer nicht als Frau akzeptiere, sei transphob.“ 

Ihre Empörung faßte Britta Haßelmann von den Grünen so zusammen: „Homophob und zutiefst menschenverachtend“, gar „abscheulich und niederträchtig“ habe von Storch gesprochen. Ganserer sei eine „vom 59-Prozent-Anteil Frauen“ in ihrer Fraktion, „und niemand von uns hat darüber zu richten oder darüber zu reden oder zu entscheiden, wie diese Frau ihr Selbstbestimmungsrecht wahrnimmt“, deklamierte die Fraktionsvorsitzende unter großem Beifall.

Von den Fakten her stand dagegen von Storch auf der stabilen Seite: Ganserer hatte es bisher abgelehnt, Vornamen und Geschlecht nach dem Transsexuellengesetz offiziell ändern zu lassen, wofür es eines psychologischen Gutachtens und einer gerichtlichen Entscheidung bedurft hätte. Im Personalausweis steht daher der Name Markus, und der Bundeswahlleiter führt das gewählte Mitglied der Bundestags als „Ganserer, Markus (Tessa)“. 

Und wie verfährt der Bundestag? Auf JF-Anfrage teilte ein Sprecherin mit, man sei zur Auskunft nur verpflichtet, „soweit sich die erbetenen Angaben nicht auf einzelne Abgeordnete unter Namensnennung, sondern auf die Gesamtheit der Abgeordneten beziehen“. Warum aber verwendet die Parlamentsverwaltung in ihren offiziellen Angaben ausschließlich den Vornamen Tessa? „Der Bundestag veröffentlicht auf der Internetseite und im Amtlichen Handbuch biographische Informationen, die er von den Abgeordneten erhält.“ Und für deren Richtigkeit seien diese selbst verantwortlich. In „Kürschners Volkshandbuch“ vollzog man schon eine kleine Änderung. In Auflage 1 der Vorab-Version hatten die Grünen 69 Frauen und 49 Männer. Auflage 2 zählt 70 Frauen und 48 Männer.