© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/22 / 25. Februar 2022

Grüße aus … Bern
Die Masken brennen
Frank Liebermann

Der vergangene Mittwoch war ein Tag, der den Bernern in Erinnerung bleiben wird. Die Menschen tanzten nackt über den Bundesplatz, lagen sich lachend in den Armen und sangen fröhliche Lieder. Vielleicht ist diese Schilderung leicht übertrieben, aber sie kommt der Realität schon sehr nahe.

Am Nachmittag prasselten die ersten WhatsApp-Nachrichten auf meinem Computer ein. Ob ich es gehört hätte, der „Freedom Day“ sei gekommen. Alain Berset, der lustige Glatzkopf, ist Innenminister der Schweiz, und da es hier kein Gesundheitsministerium gibt, ist er in Personalunion der eidgenössische Karl Lauterbach. Nur nicht ganz so verrückt. Auf seiner 85sten Pressekonferenz verkündete er das Aus aller Corona-Maßnahmen. 

Es war Schluß mit der Maskenpflicht, die ganzen G-Regelungen gelten nicht mehr, jeder darf sich mit so vielen anderen Personen treffen, wie er will. Für Kontaktpersonen wurde sogar die Quarantäne­pflicht aufgehoben. Und nicht nur das. Auch Ungeimpfte erhalten das Menschenrecht auf Kneipenbesuche, Party, Kinos und Restaurantbesuche zurück. Es bleibt nur die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr, die Ende März verschwinden soll. Selbst Infizierte müssen dann nicht mehr in die Zwangsquarantäne.

Der Wunsch nach Smalltalk ist hier meist nicht ausgeprägt. Heute gibt es ein Schwätzchen am Empfang.

Am frühen Morgen gehe ich ins Fitneßstudio. Normalerweise sind um sechs Uhr die Anwesenden still. Um diese Zeit spult man sein Programm ab und verschwindet dann wieder. Dieses Mal ist es anders. Zwar sind nicht mehr Personen da als sonst, aber sie strahlen einen glücklich an. Der Wunsch nach Smalltalk ist in Bern meistens nicht ausgeprägt. Heute gibt es beim Eintritt ein Schwätzchen mit der Empfangsdame, die schon gestern abend alle Maskenplakate entfernt hat und sonst eher muffelig ihren Kaffee trinkt. Pumper, die normalerweise mit Kopfhörern isoliert schweigsam ihre Gewichte stemmen, reden miteinander. 

Später sind Besorgungen angesagt. Beim Betreten von Läden fasse ich mehrfach reflexartig zum Gesichtslappen, bis ich merke, daß ich es mir sparen kann. Nur ein paar Vereinzelte haben sie noch auf. Ich beschließe, die vier Masken, die in verschiedenen Hosen- und Manteltaschen versteckt sind, zu entsorgen.

Abends treffe ich Kollegen in der Kneipe. Diese ist brechend voll, wie schon lange nicht mehr. Der Wirt stellt unaufgefordert einen Willkommensschnaps auf den Tresen, später folgen weitere, alles gratis. 

Auf dem Heimweg sehe ich eine kleine Gruppe. Die Jugendlichen sind ausgelassen. Sie zünden Masken an, halten diese am Gummibändchen fest und wedeln damit durch die Gegend. Schön, wie mir heimgeleuchtet wird.