© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/22 / 25. Februar 2022

Gelder einfrieren
Kanada: Polizei löst Proteste in Ottawa auf / Banken sperren Konten von Regierungskritikern
Björn Harms

Mit drastischen Mitteln hat die Polizei in Ottawa dem seit knapp drei Wochen andauernden Protest der kanadischen Trucker ein Ende bereitet. Die Beamten räumte am Wochenende die blockierten Straßen der Hauptstadt und nahm zahlreiche Demonstranten vorübergehend fest. Teilweise versuchte man die Menschenansammlungen aufzulösen, indem man mit Pferdestaffeln in die Menge ritt, wodurch eine 49jährige Frau schwer verletzt wurde. Mindestens 191 Demonstranten wurden laut offziellen Angaben verhaftet. Von ihnen sollen 103 angeklagt werden, mehrheitlich wegen Sachbeschädigung oder Behinderungen des Straßenverkehrs. Dazu ließ die Polizei mehrere Dutzend Fahrzeuge abschleppen.

Nach den Tumulten und Protesten der vergangenen Wochen und Tage ist es vorerst ruhig in der Hauptstadt. Dort, wo die Demonstranten zuvor noch laut gehupt, „Freiheit“ skandiert und „Haltet die Linie“ gerufen hatten, bleibt es still. Lediglich ein paar Beamte und Journalisten streiften am Sonntag im vormals blockierten Regierungsviertel umher.

Für die Strafverfolgungsbehörden soll die Arbeit jedoch nun erst richtig beginnen: „Wenn Sie an diesem Protest beteiligt sind, werden wir aktiv nach Ihnen suchen und finanzielle Sanktionen und Strafanzeigen einleiten“, twitterte die Polizei von Ottawa am Sonntag. Einen Tag zuvor hatte Interims-Polizeichef Steve Bell bereits angekünfigt, „Leute zur Rechenschaft“ zu ziehen, „die unsere Straßen in Beschlag genommen haben“. Die gesetzlichen Möglichkeiten zur Umsetzung dieser Drohungen kennen tatsächlich immer weniger Grenzen im einst als liberal geltenden Kanada.

Nachdem das kanadische Unterhaus am Montag mit 185 zu 151 Stimmen zugestimmt hatte, trat am Dienstag der sogenannte „Emergency Act“ in Kraft. Das 1988 beschlossene, aber bislang niemals angewendete Gesetz gibt der Regierung 30 Tage lang praktisch unbegrenzte Befugnisse, um eine Krise zu bewältigen. So kann die Teilnahme an öffentlichen Versammlungen verboten werden, können bestimmte Firmen wie Abschleppdienste verpflichtet werden, auf staatliche Anweisungen zu handeln, sowie Banken gezwungen werden, ohne Gerichtsbeschluß Konten zu sperren. Dazu können Geldstrafen oder Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren für diejenigen verhängt werden, die gegen eine der genannten Anordnungen verstoßen. Durch eine Zustimmung im Unterhaus und im Senat könnte das Gesetz sogar nochmals verlängert werden.

Klagen gegen Trudeaus Notstandsgesetz eingereicht

Für die Umsetzung des „Emergency Acts“ ist jedoch die Androhung oder Anwendung „ernsthafter Gewalt“ zwingend erforderlich. Verfassungsrechtlich steht das Ganze deshalb auf wackeligen Beinen, da die überwiegende Mehrheit der Demonstranten sich völlig friedlich verhielt. Bürgerrechtsorganisationen wie die „Kanadische Vereinigung für bürgerliche Freiheiten“ haben bereits Klagen eingereicht.

Trudeau, der die Trucker mehrfach mit Rassismus und Terrorismus in Verbindung gebracht hatte, eskalierte die Situation vergangene Woche weiter, als er eine zusätzliche Richtlinie mit der Bezeichnung „Verordnung über wirtschaftliche Sofortmaßnahmen“ erließ. Unter Berufung auf ein Gesetz zur Terrorfinanzierung verlangt die Anordnung von Finanzinstituten – einschließlich Banken, Kreditgenossenschaften, Kreditunternehmen, Trusts und Kryptowährungs-Wallets – die Einstellung der „Erbringung von Finanz- oder damit verbundenen Dienstleistungen“ für Personen, die mit den Protesten in Verbindung stehen. Dabei ist es egal, ob diese „direkt oder indirekt“ an den Protesten teilnehmen, das heißt auch Leute, die über Crowdfunding-Seiten für die Demonstranten gespendet haben, sind mit einbegriffen. Einer Großmutter, die aus Sympathie für die Trucker gespendet hat, kann damit über Nacht das Konto gesperrt werden.

Freudestrahlend berichtete die stellvertretende Premierministerin Chrystia Freeland am vergangenen Donnerstag in einer Pressekonferenz, daß verschiedene Banken bereits erste Konten eingefroren hätten. Laut Freeland, die auch Finanzministerin ist, hätten die Strafverfolgungsbehörden Informationen über die Demonstranten und ihre Unterstützer gesammelt und diese an die Finanzinstitute weitergegeben, um den Zugang zu Bargeld, aber auch Kryptowährungen zu beschränken. Da gleichzeitig Hacker die Spendendaten der Crowdfunding-Website „GiveSendGo“ veröffentlichten (hier wurden rund 5,5 Millionen Euro gesammelt), die zeigten, daß Kanadier den größten Teil der Gelder gespendet haben, drohen nun Tausenden von gesetzestreuen Kanadiern finanzielle Vergeltungsmaßnahmen, nur weil sie einen Anti-Regierungs-Protest unterstützt haben. In Ontario wurde eine niedere Regierungsbeamtin entlassen, nachdem ihre 100-Dollar-Spende ans Licht gekommen war.

Der „Freiheitskonvoi“ der Trucker begann ursprünglich als Reaktion auf die Entscheidung der Regierung, von kanadischen Lkw-Fahrern, die die US-Grenze überqueren, zu verlangen, daß sie vollständig geimpft sind. Mittlerweile geht es um deutlich mehr: B.J. Dichter, einer der Organisatoren der Proteste in Ottawa, dem mittlerweile alle seine Bankkonten und Kreditkarten gesperrt wurden, kommentierte seine finanzielle Auslöschung wie folgt: „Es fühlt sich an, als wäre man aus einem mittelalterlichen Dorf verbannt und dem Tod überlassen.“

Foto: Demonstranten und die Polizei stehen sich am Samstag vor dem kanadischen Parlament gegenüber: Zahlreiche Personen wurden festgenommen und Dutzende Fahrzeuge abgeschleppt