© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/22 / 25. Februar 2022

Wer ist hier der Rechtsstaat?
Europa: Die Klage gegen den „Konditionalitätsmechanismus“ ist abgeschmettert. Doch kann die Klausel überhaupt greifen?
Albrecht Rothacher

Der Europäische Gerichtshof (EuGH)hat die Klage der Osteuropäer Ungarn und Polen gegen den sogenannten EU-„Konditionalitätsmechanismus“ abgewiesen. Laut EuGH kann die EU nun künftig Gelder einbehalten, wenn ein Mitgliedstaat gegen die Rechtsstaatlichkeit verstößt und dadurch den EU-Haushalt beeinträchtigt. Die ungarische Regierung sieht im Urteil einen klaren Machtmißbrauch, die polnische einen Angriff auf ihre Souveränität und Selbstbestimmung.

Die Europäische Kommission soll jetzt den politisch mißliebigen Regierungen in Polen und Ungarn – am besten noch vor den ungarischen  Parlamentswahlen vom 3. April – den Geldhahn zudrehen. Eine Mehrheit im Europäischen Parlament droht mit einer Untätigkeitsklage, falls die Kommission nicht sofort tätig wird. Vereinzelte   Politiker aus der FDP wollen sogar das Gehalt von Präsidentin Ursula von der Leyen blockieren, wenn sie nicht handelt. Klar ist: Es geht um viel Geld. Im Jahr 2020 allein erhielten Polen aus dem regulären Haushalt netto zwölf Milliarden Euro und Ungarn fünf Milliarden. Mit dem zusätzlichen schuldenfinanzierten Corona-Haushalt sind noch einmal für die nächsten Jahre 36 Milliarden Euro für Polen und 7,2 Milliarden für Ungarn vorgesehen. 

Ob der Mechanismus angewendet werden kann, steht in Frage

Aber was ist wirklich entschieden worden? EU-Mittelflüsse können auf Kommissionsvorschlag, wenn der Europäische Rat mit qualifizierter Mehrheit und das EP zustimmen, dann gesperrt werden, wenn Rechtsstaatsprobleme in dem betroffenen Mitgliedstaat eine nicht mehr sachgemäße EU-Mittelverwendung befürchten lassen. Es dürfte sehr schwer werden nachzuweisen, warum die ungarische Kinderschutzgesetzgebung gegen Homo-Propaganda an den Schulen einen Einfluß auf eine ordentliche Mittelverwendung zum Beispiel beim Bau von Industrieparks, Kläranlagen oder Autobahnen haben sollte. Das gleiche in Polen, wo die inkriminierten Disziplinarkammern, die die Entscheidungen altkommunistischer Richter überprüfen sollten, laut Ankündigung von Präsident Andrzej Duda demnächst aufgelöst werden, nachdem sie ihren Zweck erfüllt haben. 

Um die nötigen rechtlich dichten Leitlinien zur Anwendung dieses EU-internen Sanktionsinstruments zu schaffen, braucht die Kommission also Zeit, „einige Wochen“, wie Frau von der Leyen sagt. Es ist aber fast ausgeschlossen, daß sie rechtlich haltbar aktuell angewendet werden können. Seit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 werden im sonnigen Süden Italiens jährlich Milliardenbeträge an EU-Hilfen für Landwirtschaft, Industrie und Regionalentwicklung veruntreut. Das gleiche gilt bei den EU-Geldern für den Balkan. 

Und zum EUGh selbst: Sämtliche 27 Richter wurden von ihren Staaten politisch ernannt. Zu  Gerhard Schröders Zeiten als Bundeskanzler verlangte der Koalitionsproporz eine linke, grüne Frau. Man fand mühsam eine weibliche Arbeitsrichterin in Bremen, die das richtige Parteibuch in der Tasche hatte. Erfahrungen mit dem EU-Recht hatte sie dagegen nur wenig. Das toppten die Österreicher noch und benannten kurzzeitig eine sozialistische Justizministerin, der eigentlich die Befähigung zum Richteramt vollkommen fehlte. Das aber stieß kaum unangenehm auf.

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