© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/22 / 25. Februar 2022

„Dringend nötiger Wandel“
Schufa-Verkauf: Werden die geheimsten Daten der Deutschen an Finanzinvestoren verkauft?
Paul Leonhard

Wie liquide sind die Deutschen? Wie ist es um ihre Zahlungsmoral bestellt? Die Antwort darauf könnte bald das alleinige Geheimnis eines in Stockholm ansässigen Finanzinvestors sein, der mit diesem Wissen viel Geld verdienen will. Die seit 2019 börsennotierte Firma EQT, bisher vor allem in Nordeuropa und Asien tätig, möchte die ursprünglich 1927 in Berlin gegründete Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung (Schufa) erwerben. In einem ersten Schritt hat sich EQT für 200 Millionen Euro eine Option auf jene zehn Prozent Anteile gesichert, die die Pariser Großbank Société Générale hält. Aus einer Pflichtveröffentlichung des Bundeskartellamtes von Januar geht nun aber hervor, daß EQT die heutige Schufa Holding AG Wiesbaden komplett übernehmen möchte.

Dagegen formiert sich Widerstand – seitens der anderen Schufa-Anteilseigner sowie der Kampagnen-Plattform Campact (JF 27/21). Diese NGO hat die Petition „Stoppt den Ausverkauf der Schufa-Daten“ gestartet, die bisher 230.000 Menschen unterzeichnet haben. Die Initiative fordert von den anderen Schufa-Eignern – insbesondere den Sparkassen und Genossenschaftsbanken –, von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen und dafür zu sorgen, daß keine Anteile an EQT und ähnliche Investoren verkauft werden. Die hochsensiblen Daten, so Antonia Becher von Campact, „entscheiden, ob jemand eine Wohnung bekommt, ein Haus bauen oder ein Unternehmen starten kann“, und dürften daher „nicht zum Spielball von Finanzinvestoren“ werden. Und was ist, wenn EQT nur ein Strohmann“ ist, der die Schufa nach einer Schamfrist an Google oder Facebook weiterreicht?

Es ist nicht der erste Versuch der Schweden, sich in die Schufa einzukaufen. Bereits vor einem Jahr berichtete die Agentur Bloomberg, daß EQT gemeinsam mit dem US-Investor Hellman & Friedman (bis 2008 Springer-Aktionär; seit 2020 AutoScout24-Eigner) Interesse an den Schufa-Anteilen von Commerzbank (sechs Prozent) und Deutscher Bank (zwölf Prozent) bekundet habe. Inzwischen gibt es aber Konkurrenz: Die zur genossenschaftlichen DZ-Bank-Gruppe gehörende Nürnberger Team-Bank strebt ihrerseits den Erwerb einer wettbewerblich erheblichen Minderheitsbeteiligung an. Aktuell verwaltet sie die 18 Prozent Anteile der Volks- und Raiffeisenbanken an der Schufa. Gemeinsam mit anderen Bestandsaktionären wolle man „stabile Mehrheitsverhältnisse und langfristig das Grundprinzip der Neutralität der Schufa erhalten“, sagte eine Teambank-Sprecherin T-Online.

Das Bundeskartellamt hat beiden Bewerbern seinen Segen gegeben – und damit eine Bieterschlacht ermöglicht, bei der es um nichts Geringeres, als um die Finanzsituation von 68 Millionen Bürgern und sechs Millionen Unternehmen in Deutschland und ihre Bonitätseinschätzung geht. Denn trotz teilweise grotesker Datenschutzauslegungen im deutschen Bürokratenstaat darf ausgerechnet eine privatwirtschaftliche Auskunftei Informationen all jener sammeln, die am bargeldlosen Zahlungsverkehr teilnehmen, Kredite aufnehmen oder einen neuen Mietvertrag unterzeichnen möchten.

Angaben über Einkommen, Arbeit und Familienstand sind noch tabu

Die Schufa hat Kenntnis über Bankkonten, Geldkarten, Kredit- und Leasingverträge, Ratenzahlungen und Versandhandelskonten. Die Schufa weiß über Zahlungsrückstände und Mahnungen Bescheid, mißt die Kreditwürdigkeit, „Coringwerte“ und gibt Bonitätsauskünfte. Sie kennt von 82 Prozent der Einwohnerschaft in Deutschland Namen, Geburtsdatum und -ort, aktuelle und frühere Postanschriften. Am liebsten würde die Schufa auch über ihre tagtäglichen Kontobewegungen Kenntnis haben. Dafür hatte sie bereits 2018 die Münchner Firma finAPI GmbH erworben, ein Startup, das über eine Lizenz der Finanzaufsicht Bafin für das Auslesen von Konten verfügt, die die Schufa selbst nicht besitzt. Damit könnten künftig die privaten Ausgaben der Kunden erkannt und bewertet werden.

Immerhin war der öffentliche Unmut über diese Konto-„Scores“ daraufhin so stark, daß die Schufa diese Pläne 2020 erst einmal zurückstellen mußte. Tabu sind noch Angaben über Einkommen, Vermögen, Arbeitgeber und Familienstand der registrierten Bürger. Diese dürfen von der Schufa nicht gesammelt werden. Und die Schufa ist seit April 2010 verpflichtet, auf Antrag jedem Bürger alle über ihn gesammelten Daten einmal jährlich als „Datenkopie nach Art. 15 DS-GVO“ kostenfrei zuzuschicken, die „umfangreichste Selbstauskunft, die Verbraucher bekommen können“, erklärt Birgit Vorberg von der Verbraucherzentrale NRW.

Mehr als eine Milliarde hochsensibler Kundendaten besitzt die Schufa. 170 Millionen kostenpflichtige Auskünfte über Deutsche gibt sie im Schnitt alljährlich an 10.000 Unternehmen und macht damit ein glänzendes Geschäft. Voriges Jahr betrug der Umsatz 223 Millionen Euro, der Jahresüberschuß wurde mit 40 Millionen Euro angegeben, was sich nach Ansicht von EQT aber noch steigern läßt. So nennt auch EQT-Partner Matthias Wittkowski der Börsen-Zeitung als Ziel,  „das ungenutzte Innovations- und Wachstumspotential der Schufa zu aktivieren und mit zusätzlichem Kapital und Know-how zu beschleunigen“. Oder wie es in der Begründung der Online-Petition „Stoppt den Ausverkauf der Schufa-Daten“ heißt: „Dem schwedischen Konzern geht es um Gewinne, Wachstum und mehr Rendite für seine Investoren.“

EQT bestreitet das nicht, wirbt aber mit Transparenz und Verbraucherschutz. Man wolle den „Reformstau auflösen und den dringend nötigen Wandel einleiten“, so Wittkowski gegenüber T-Online. Als Beispiel nennt er eine App, in der Verbraucher „einfach und kostenlos sehen können, welche Daten die Schufa über sie speichert, wann Löschfristen einsetzen und wie die Daten in den Score einfließen“. Welche Informationen die Schufa wie bewertet – bisher eines der bestgehüteten Geheimnisse der Auskunftei, interessiert auch die grüne Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke brennend. Sie sieht in der Übernahmediskussion eine Chance, um in Sachen Transparenz „verbal Druck auf die Schufa zu machen und Verbesserungen anzumahnen“: Es wäre wunderbar, wenn „aus dem Kampf um die Schufa am Ende diejenigen als Sieger hervorgehen würden, um deren Daten hier geschachert wird“.

So wird es auch in der Campact-Petition gefordert: Das derzeitige Scoring-Verfahren sei höchst intransparent und die Schufa weigere sich, Informationen zum Verfahren preiszugeben und stuft es als Geschäftsgeheimnis ein. Überdies hat die Auskunftei nach Recherchen des Bayerischen Rundfunks und des Spiegels viele Menschen ohne jegliche Negativeinträge zum Risikofall erklärt: „Die Prognosen der Schufa beruhen auf teilweise höchst fragwürdigen Annahmen.“

 aktion.campact.de

 eqtgroup.com

Foto: Sparkassen-Papiere: Die Auskunft entscheidet, ob jemand eine Wohnung bekommt, ein Haus bauen oder ein Unternehmen starten kann