© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/22 / 25. Februar 2022

Über Spiritualität in apokalyptischer Zeit
Kleine Theologie des Als-ob
(dg)

Das Werk des Philosophen und Kant-Forschers Hans Vaihinger (1852–1933) ist heute fast vollständig dem kulturellen Gedächtnis entschwunden. Nur Kenner der jüngeren Fachgeschichte verknüpfen noch mit dem Namen die vage Vorstellung von ihm als Urheber der „Als-ob-Philosophie“. Was kauzig-versponnen klingt und daher zu Recht vergessen zu sein scheint. Und doch wirkt sein „Fiktionalismus“ wie der Vorläufer einer ultramodernen Ideologie, die lehrt, daß alles, zuerst jedoch die Wirklichkeit der westlichen Zivilisation, nur „Konstruktion“ und der „Dekonstruktion“ zu überantworten sei. Vaihinger gibt „Als-ob“-Realitäten wie sittliche Werte und religiöse Ideale jedoch nicht zur Zerstörung frei,  sondern preist ihre lebenssteigernden Funktionen. Ohne den schwäbischen Denker zu erwähnen, bewegt sich jetzt Sebastian Kleinschmidts „kleine Theologie des Als-ob“ in dessen Bahnen. Denn der Pastorensohn und langjährige Chefredakteur der Kulturzeitschrift Sinn und Form sieht im fiktionalen Charakter des Religiösen die beste Empfehlung für eine „Spiritualität in apokalyptischer Zeit“ (Ausgabe 1/2022). Bezogen auf die auch von ihm gefürchtete „Klimakrise“ mit dem „Auftauen der Permafrostböden und dem Schmelzen des polaren Eises“ könnte die Corona-Pandemie nur Vorspiel und  Menetekel sein. „Angst“ davor sei also berechtigt. Anders als die vorherrschenden atheistischen Angstreaktionen, das verharmlosende Verdrängen und das hysterische Schüren der Angst verspreche „Angstbannung“ jenseits von Ignoranz und Panik eine pragmatische Lösung. Dafür sei es nötig, die Welt  zu sehen, als ob sie Gott geschaffen habe und den Menschen mahne, ohne „Herrschaftshybris“ mit der Erde umzugehen. 


 https://sinn-und-form.de