© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/22 / 25. Februar 2022

Ghettokinder
Kino II: In „King Richard“ brilliert US-Darsteller Will Smith als Vater der Tennis-Königinnen Venus und Serena Williams
Dietmar Mehrens

Wenn Richard Williams (Will Smith) seine Kinder Demut lehren will, geht das so: Er legt die Videokassette von „Aschenputtel“ ein und läßt sie nach dem Ansehen des Films auf die Frage antworten: „Also, was habt ihr gelernt?“ Bekommt er von keiner seiner fünf Töchter eine befriedigende Antwort, bedeutet das: „Dann schauen wir den ganzen Film jetzt nochmal.“ Das ist immerhin pädagogisch wertvoller, als sie unterwegs irgendwo auszusetzen und ohne weitere Erklärung zu Fuß nach Hause laufen zu lassen, weil sie einmal nicht pariert haben. Eine Idee, auf die der Vater mit den eisernen Überzeugungen auch schon gekommen ist. Über seine Herkunft gibt er sich keinen Illusionen hin: „Diese Familie kommt aus dem Ghetto“, bekennt er freimütig.

Das Ghetto ist eine Schwarzensiedlung in Compton/Kalifornien. Und wenn Richard seine Töchter auf einem öffentlichen Tennisplatz trainieren läßt, kann es schon mal zu Revierkämpfen mit den örtlichen Halbstarken und Taugenichtsen kommen. Zu Richards vielen Ticks gehört es auch, daß er zu Beginn jeder Trainingsstunde ein selbstgemaltes Schild am Zaun aufhängt, auf dem sein Lebensmotto zu lesen ist: „If you fail to plan, you plan to fail!“ („Wenn du beim Planen scheiterst, planst du dein Scheitern.“) Was ist der Plan? Kein geringerer, als daß die begabteste seiner Töchter eines Tages das Tennisturnier in Wimbledon gewinnt. Daß das ein realistisches Ziel ist, daran läßt der Besessene keinen Zweifel aufkommen. 

Richard Williams, wegen seiner dominanten Art auch „King Richard“ genannt, ist der Vater von Venus und Serena Williams, die zusammen dreißig Grand-Slam-Titel holten. Venus gewann fünfmal die British Open in Wimbledon. Den mühsamen Weg dorthin schildert dieser Film. Er stellt die ältere Venus in den Mittelpunkt, die später von ihrer Schwester Serena in den Schatten gestellt wurde. Die Geschichte des kometenhaften Aufstiegs der beiden schwarzen Tennislegenden ist wie gemacht für großes Hollywood-Kino, das Geschichten liebt, in denen vermeintliche Außenseiter – schwarze Ghettokinder im Sport der weißen Tennissocken – es wider alle Wahrscheinlichkeit ganz nach oben schaffen.

Im Jahr 2011 sorgte das Buch „Die Mutter des Erfolgs – Wie ich meinen Kindern das Siegen beibrachte“ von „Tigermutter“ Amy Chua für Aufsehen. Die chinesischstämmige Autorin hatte alle Anhänger der antiautoritären Betüdelungspädagogik schockiert mit der These: Kinder brauchen Druck. Je mehr Druck, desto besser für ihre Entwicklung. Ihrem Fördern-und-fordern-Konzept war der Gedanke an eine mögliche Überforderung der Kinder fremd. Die Autorin konnte auf die beachtlichen Karrieren ihrer eigenen Sprößlinge verweisen. „King Richard“ ist der gelungene Versuch, Chuas steile Thesen anhand eines realen Fallbeispiels eindrucksvoll zu beglaubigen.

Ein Vater, der für seine Kinder alles zu opfern bereit ist

Neben der in vielen Details unglaublichen Erfolgsgeschichte, die der Film nacherzählt – da stört Richard mal eben erfolgreich eine Trainingsstunde von John McEnroe und Pete Sampras, um deren Trainer Paul Cohen (Liev Schreiber) anzuwerben –, ist es vor allem die darstellerische Leistung von „Man in Black“ Will Smith, die beeindruckt. Der durch Filme wie „Independence Day“ (1996) und „Staatsfeind Nummer 1“ (1998) berühmt gewordene Schauspieler ist in jeder Szene absolut authentisch. Will Smith wird zu King Richard – meisterhaft, Oscar-reif. Der 53jährige knüpft an die Rolle an, die er bereits mit ähnlicher Überzeugungskraft in „Das Streben nach Glück“ (2006) spielte: die eines liebenden Vaters, der für den eigenen Nachwuchs alles zu opfern bereit ist, verbissen an seinem Traum festhält und sich dabei um Wahrscheinlichkeiten nicht schert. Mit einer Sturheit, die die daraus resultierenden Härten bereitwillig in Kauf nimmt. Aber auch Aunjanue Ellis überzeugt in jeder Szene als Richards zu hundert Prozent solidarische Ehefrau, die voll mitzieht, ihrem Mann aber auch mal kräftig die Leviten liest, wenn die Gefahr besteht, daß sein Ehrgeiz nicht mehr auf das Wohl seiner Töchter zielt, sondern zur Selbstbeweihräucherung entartet.

Fazit: Endlich mal ein Film, den man rückhaltlos empfehlen kann. Familienfreundlich, voller Optimismus und bei allem Respekt-Einwerben schlechterdings kein antirassistisches Propaganda-Pamphlet, sondern ein Plädoyer für demütige Frömmigkeit, Fleiß und familiären Zusammenhalt. 

Kinostart ist am 24. Februar 2022

Foto: Richard Williams (Will Smith) mit seinen Töchtern Serena (Demi Singleton; li.) und Venus (Saniyya Sidney): „Wenn du beim Planen scheiterst, planst du dein Scheitern“