© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/22 / 25. Februar 2022

Verpuffte Wucht des Aufpralls
Literatur: Der Filmregisseur Sönke Wortmann hat mit „Es gilt das gesprochene Wort“ sein Romandebüt vorgelegt
Regina Bärthel

Gegensätze ziehen sich bekanntlich an und kollidieren sie, können interessante, bisweilen sogar erhellende Funken entstehen. Das weiß auch Sönke Wortmann, Regisseur von Filmen wie „Der bewegte Mann“ (1994), „Der Campus“ (1998), eine Tragikomödie zum Thema Political Correctness nach dem gleichnamigen Roman von Dietrich Schwanitz, sowie des Kriegsheimkehrer- und Fußballdramas „Das Wunder von Bern“ (2003). Jüngst adaptierte Wortmann mit „Contra“ (2020) eine französische Vorlage, in der Bildungsbürgertum und migrantische Lebenswelt aufeinanderprallen.

Nun legt Wortmann mit „Es gilt das gesprochene Wort“ sein Romandebüt vor, das in der Welt des Auswärtigen Amtes und der deutschen Diplomatie angesiedelt ist. Auch hier setzt er auf die Gegenüberstellung zweier Antagonisten, aus deren Perspektiven sich die Handlung entwickelt: Franz-Josef Klenke, Redenschreiber und Vertrauter des amtierenden Außenministers Hans Behring (SPD), und Cornelius von Schröder, Diplomat im marokkanischen Rabat.

Mit Erzählfreude und nicht ohne Witz nimmt Wortmann den Leser mit auf die Reise: In Prag ehrt der Außenminister mit einer Rede voll persönlicher Betroffenheit den dortigen Widerstand gegen das nationalsozialistische Deutschland (das Treffen mit ehemaligen DDR-Flüchtlingen in der deutschen Botschaft entspricht weniger dem politischen Willen, bitten sie doch darum, „daß die Grenzen endgültig dichtgemacht“ werden), in Vietnam hebt er den Standortfaktor Kultur hervor (obgleich der Besuch im großen Troß natürlich deutschen Wirtschaftsinteressen dienen soll). 

Frustration, Alkohol und Verschwörungstheorien

Behringer kann sich auf seinen Redenschreiber verlassen; als Werbefachmann ist Franz-Josef Klenke ein versierter Mann des Wortes und weiß genau, welche Inhalte und Assoziationen er einzusetzen hat, um dem jeweiligen Anlaß gerecht zu werden. In seinen freien Stunden studiert Klenke die großen historischen Reden von Goebbels bis Obama, berauscht sich an deren Form und Wirkung. Klenke wirkt wie ein Handwerker des Wortes, ebenso wie sein Vater, ein Installateur, Handwerker der Rohre und Muffen war. Von ihm übernahm Klenke auch die Vorliebe für die SPD, die dem Sohn – obgleich er deren zahlreiche innerparteiliche Querelen kritisiert – eine gewisse Nestwärme vermittelt. Ansonsten lebt Franz-Josef eher grün, liebt das Bahnfahren, nutzt das Fahrrad (inklusive Schutzhelm) und ernährt sich – unter dem Einfluß seiner Freundin Maria – vegetarisch. 

Der Gegenpol zum politischen Quereinsteiger Klenke ist der Diplomat Cornelius von Schröder. Schon aus alter Familientradition – bereits sein Vater und Großvater hatten angesehene Botschaften geleitet – hatte Schröder seine Karriere zielgerichtet und strategisch klug verfolgt und mit Stolz seinen diplomatischen Eid abgelegt. Doch nun ist er Leiter der Abteilung Politik im marokkanischen Rabat, eine seiner Ansicht nach minderwertige Botschaft, was er als unverzeihlichen Karriereknick ansieht. Auch seine chilenische Frau Marysol hat sich – aufgrund Schröders fehlender Leidenschaft auf sexueller wie kommunikativer Ebene – von ihm entfremdet, und so trudelt er in eine Abwärtsspirale aus Frustration, Alkohol und Verschwörungstheorien hinein.

Als Klenke Schröder bei der Vorbereitung zum Staatsbesuch in Marokko übergeht, kommt es, wie es nach allgemeiner Auffassung kommen muß: Die aus zahlreichen Kränkungen angestaute Wut läßt Schröder ein Attentat begehen – das aber von Maria, der Freundin Klenkes, vereitelt wird. Schön und hochintelligent, leidet sie an selektivem Mutismus: Es ist ihr von Kindesbeinen an unmöglich, unter Fremden zu sprechen; selbst dann, wenn es sich nur um belanglosen Smalltalk handelt. Eine Angststörung, die laut ihres Psychiaters auf einem überbordenden Anspruch an sich selbst entstand.

Die Beziehung zwischen dem Redenschreiber und der im sozialen Kontext Stummen ist eine interessante Konstellation, die, wenn auch nur implizit, zu einer überraschenden Wendung führt: Klenkes Wortmacht entfaltet sich vorwiegend im Hinblick auf klar strukturierte Anlässe, während seine verbalen Reaktionen in unvorhergesehenen Lebenssituationen – zum Beispiel im persönlichen Gespräch mit dem bereits desolaten Schröder in Marokko – völlig versagen. Am Ende ist es der erschreckend unartikulierte, quasi animalische Schrei der „stummen“ Maria, der als Aufruf zum rettenden Handeln verstanden wird und Schröders Anschlag vereitelt.

Aus Erfahrung sich speisende Ansichten zur Migrationspolitik

Und so ist „Es gilt das gesprochene Wort“ ein Roman über Kommunikation. „Die ganze Kunst der Sprache besteht darin, verstanden zu werden“: Diese konfuzianische Weisheit stellt Wortmann seinem Buch voran. Ein schönes, wahres Zitat, doch – so möchte man hinzufügen – es hilft, auch zuzuhören. Um unterschiedliche Ansichten auszutauschen, Veränderungen, Annäherungen zu ermöglichen, denn, wie Maria weiß: „Mit der Sprache erschließen wir uns die Welt, schaffen Zugang zu unseren Mitmenschen und schließlich zu uns selbst.“ 

Gerade dies aber gelingt den Protagonisten nur unzureichend, und auch der Roman selbst verschließt sich der Vielfalt der Perspektiven. Es bietet sich natürlich an, Antagonisten klischeehaft zu überzeichnen; um so sprühender die Wucht des Aufpralls. Doch während sich der smarte Klenke bei aller Weltoffenheit immer wieder auch als bornierter Biedermann erweist, wird Schröder rasch zum eindimensionalen, reaktionären Biest, dessen sich durchaus aus realer Erfahrung speisende Ansichten – nicht zuletzt zur Migrationspolitik – unter einem Wust von unappetitlichen Charakterisierungen begraben werden. Maria bleibt die einzige, die an ihrer Kommunikation arbeitet – mit Erfolg.

Es entbehrt nicht der Ironie, wenn die fiktiven Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes das marokkanische Verbot von Zwangsheiraten feiern, der Leser aber kurz zuvor Zeuge von Schröders mißglücktem Versuch geworden ist, eine junge Deutsch-Marokkanerin vor eben diesem Schicksal zu bewahren: „Es halten sich eben noch nicht alle daran.“

Oder wenn Außenminister Behringer den in Mali stationierten Bundeswehrsoldaten für ihren stabilisierenden Einsatz dankt: „Mali ist eine Transitzone, nicht nur für Drogen und Waffen, sondern auch für gefährliche Ideologien, für Menschenhandel und für Migration.“ Die Hauptroute führe direkt nach Marokko und von dort nach Europa, der Mali-Einsatz sei also ein Beweis dafür, daß Deutschland internationale Verantwortung übernimmt – was sich im realen Leben unter der Außenpolitik der Grünen, deren Mitglied Sönke Wortmann ist, jetzt ändern könnte (siehe Seite 4 dieser Ausgabe). Tags darauf lobt Behringer Marokko als Land der Gastfreundschaft und verspricht weitere Hilfe zur Wirtschaftsentwicklung – sofern Marokko seine Grenzkontrollen zur Verhinderung der illegalen Migration aufrechterhält.

Durch seinen Roman „Es gilt das gesprochene Wort“ ermöglicht Sönke Wortmann einen gut recherchierten Einblick in die Verfahren der Diplomatie und verweist darüber hinaus auf aktuelle Fragen der deutschen Außenpolitik gerade in bezug auf Mali und Marokko. Er zeigt auch, daß es nicht die fein gesetzten Worte aus dem Textbaukasten für Politische Korrektheit sind, die politisches Handeln, ja Handeln überhaupt auszeichnen. Vielmehr geht es um eine klare Wahrnehmung der Realität in allen ihren Facetten. Werden aber unliebsame Bestandteile dieser Realitätsbeobachtungen jenen in den Mund gelegt, die von vornherein als Parias abgestempelt wurden, müssen sie selbstredend nicht ernst genommen werden – und die Wucht des Aufpralls verpufft.

Was Wortmann aber unbestritten gelungen ist, sind Szenen voller Witz und doppeltem Boden sowie filmreife Beschreibungen der Schauplätze: Gute Voraussetzungen für ein unterhaltsames Kino im Kopf der Leser.

Sönke Wortmann: Es gilt das gesprochene Wort. Roman. Ullstein, Berlin 2021, gebunden, 240 Seiten, 24 Euro

Foto: Sönke Wortmann auf der Frankfurter Buchmesse (2021)