© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/22 / 25. Februar 2022

Finis Borussiae
Am 25. Februar 1947 wurde mit dem alliierten Kontrollratsgesetz Nr. 46 Preußen aufgelöst
Stefan Scheil

Das Gesetz mit der Nummer 46 sei die wichtigste Entscheidung des Alliierten Kontrollrats über Deutschland gewesen. Auf diesen Standpunkt stellte sich jedenfalls der amerikanische Militärgouverneur Lucius D. Clay später in seinen Erinnerungen. Denn mit Gesetz Nummer 46 wurde am 25. Februar 1947 die Auflösung des Staates Preußen verfügt.

Für diese Maßnahme fanden sich fast zwei Jahre nach Kriegsende noch einmal alle Siegermächte zusammen, angesichts einer weltpolitischen Situation, in der ihr Zusammenhalt längst zu bröckeln begonnen hatte. Der Kalte Krieg zeichnete sich ab, auch als Streit um den Umgang mit der deutschen Beute. Bereits ein Jahr später zog die Sowjetunion ihren Vertreter aus dem Kontrollrat zurück.

Man darf aber wohl getrost davon ausgehen, daß es sich bei Gesetz 46 um eine Attacke handelte, die auch der sowjetischen Geschichtspolitik besonders gefiel. Sein Text klang geradezu wie ein realsozialistisches Angebot. Der Staat Preußen sei „seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland“ gewesen, hieß es in der Präambel im Sowjetjargon. Er habe „in Wirklichkeit“ zu bestehen aufgehört. Demnach hatte also der „Staat“ militaristisch agiert, nicht das „Volk“, wie es die laufende Umerziehungskampagne der Westmächte suggerierte.

Preußen war für die Alliierten Symbol unzähmbarer Herrschaft

Warum aber zur angeblichen Sicherung der weiteren demokratischen Entwicklung in Deutschland dann nicht nur dieser Staat, sondern auch ausdrücklich seine Zentralregierung und seine Behörden gesetzlich aufgelöst werden mußten, wenn es sie schon nicht mehr gab, das ist viel diskutiert worden. Auffällig fiel beispielsweise der Kontrast zum Schicksal des Deutschen Reiches insgesamt aus. Obwohl es seit 1945 „in Wirklichkeit“ genausowenig oder genausoviel bestand wie Preußen, fiel es den Alliierten niemals ein, zu behaupten, es existiere nicht mehr. Ein Gesetz über die Auflösung oder auch nur formale Umgestaltung des Reiches gab es nicht und gibt es bis heute nicht.

Natürlich läßt sich mit guten Gründen in Zweifel ziehen, ob der Kontrollrat überhaupt befugt gewesen ist, völkerrechtliche Eingriffe von der Dimension einer Staatsauflösung vorzunehmen. Zudem lag der betroffene Staat zu einem großen Teil überhaupt nicht in dem Gebiet, das dem Kontrollrat als Besatzungsbehörde unterstand, sondern östlich davon. Dort allerdings, in den damals neuerdings von Polen verwalteten Gebieten östlich von Oder und Neiße, begrüßte die verantwortliche Regierung in Warschau ebenfalls Preußens Auflösung. 

Insofern handelte es sich bei der Auflösung Preußens um einen merkwürdigen symbolischen Akt, der die jahrzehntelange Feindschaft gegenüber dem zum Ausdruck brachte, was man in Teilen des Auslands als deutsches Problem erkannt zu haben glaubte. Der preußische Herrschaftswille sei unzähmbar, erst innerhalb Deutschlands und nun auf der Weltbühne. Diese Behauptung lag beispielsweise dem legendären Gutachten von Sir Eyre Crowe zugrunde, in dem der damalige britische Chefdiplomat 1907 sein Außenministerium auf grundsätzlichen Konfrontationskurs mit Preußen-Deutschland einstellte. Sie geisterte seitdem durch dessen Flure, auch während des Zweiten Weltkriegs unter Crowes Nachfolger Robert Vansittart, der die Zeit am liebsten bis hinter Friedrich den Großen zurückgedreht hätte.

Die Geschichte dieses „Preußen“ kam weniger mit dem Jahr 1947 als mit dem Verlust von Pommern, Schlesien und West- und Ostpreußen sicher an ihr Ende. Als Orientierungspunkt oder Feindbild hat Preußen seine Auflösung aber zweifellos überlebt. Es kam immer wieder einmal in Mode, gerne auch idealisiert. An einer vom sozialdemokratischen Berliner Senat ins Leben gerufenen Ausstellung mit dem Titel „Preußen – eine Bilanz“ rieben sich trotz einer sehr dezenten Konzeption 1981 manche links-orientierten Kritiker und witterten Geschichtsrevisionismus. Andererseits kam zu dieser Zeit gerade die realsozialistische DDR ebenfalls zusehends auf den Preußengeschmack und entwickelte sich zu dem, was der Historiker und Filmproduzent Wolfgang Venohr ein „rotes Preußen“ nannte.

Die Jahre 1989/90 stellten einige Dinge im früheren Preußen dann sogar auf staatlicher Ebene noch einmal in Frage. Dazu gehörte zwar nicht mehr die Oder-Neiße-Linie, doch gab es Hoffnungen auf eine Rückgabe des nördlichen Ostpreußen nebst der Krönungsstadt Königsberg durch die Sowjetunion. Oder wenigstens dessen Umgestaltung zu einer von Rußlanddeutschen bewohnten Sonderzone. Auch ein Bundesland Preußen tauchte gesprächsweise in den Debatten als Bezeichnung bei einer anstehenden Neuordnung der Bundesländer in der früheren DDR auf. Unter solchen Vorzeichen trat gar der Alliierte Kontrollrat nach über vierzig Jahren Unterbrechung 1990 wieder zusammen und erinnerte an die Souveränität, die die Besatzungsmächte immer noch über Deutschland beanspruchten. Gesetze jedoch erließ er keine mehr. 

Ausgerechnet der SPD-Sozialminister Alwin Ziel im Kabinett Manfred Stolpes entfachte zehn Jahre später letztmalig die Debatte, als er im „Preußenjahr“ 2001 vorschlug, bei einer Vereinigung von Berlin und Brandenburg das neue Bundesland „Preußen“ zu nennen. Allerdings ließ zu diesem Zeitpunkt der völlig marode Haushalt der Hauptstadt alle Fusionspläne austräumen. 

Foto: Kurz vor der Abtragung der Standbilder brandenburgischer und preußischer Fürsten und Könige im Berliner Tiergarten 1947:  Die Zeit am liebsten bis hinter Friedrich den Großen zurückgedreht