© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/22 / 25. Februar 2022

Kontrukt des Protestantismus
Der US-Theologe Joel S. Peters und das „Sola Scriptura“-Prinzip
Werner Olles

Der US-amerikanische Theologe, Religionswissenschaftler und Psychologe Joel S. Peters unterzieht in seiner kleinen apologetischen Schrift eines der Hauptprinzipien, auf die sich der Protestantismus stützt, „Sola Scriptura“ – „Die Schrift allein“, einer akribischen und sachkundigen Belastungsprobe. Das Resultat ist eindeutig: Das „Sola Scriptura“-Prinzip ist ein menschliches Konstrukt und der von Christus gestifteten Religion und Kirche fremd. Tatsächlich steht es sogar im Widerspruch zur Heiligen Schrift, den historischen Fakten und dem gesunden Menschenverstand. 

So wird die Schrift nicht nur zum alleinigen Ort theologischer Erkenntnis erhoben, während die Gegenreformation mit ihren großen Theologen Robert Bellarmin, Petrus Canisius und Franz von Sales bewies, daß Heilige Schrift, Tradition und Lehramt nach dem Willen göttlicher Vorsehung untrennbar verbunden sind. Die Spaltung, die durch die Formulierung „die Schrift allein“ entstand, ist wohl in nicht geringem Maß auf Martin Luthers Ringen mit seiner für ihn problematischen Vergangenheit als Augustinermönch und Priester und auf seinen durch Zweifel, Verzweiflung, Schuldgefühle und ein übertriebenes Sündenbewußtsein psychisch-labilen Seelenzustand zurückzuführen.

Die römisch-katholische Kirche entnimmt indes ihre Lehre der göttlichen Offenbarung, also der „Heiligen Schrift“ und der mündlichen Überlieferung, der Tradition. Beide sind gleichermaßen Quellen der christlichen Religion. Zwar war Luthers Protest gegen bestimmte Mißstände in der Kirche wie beispielsweise ein übertriebener Klerikalismus oder der skandalöse Lebenswandel selbst der höchsten Geistlichkeit durchaus berechtigt, doch seine Behauptung, die Kirche habe die biblischen Wahrheiten und die christliche Lehre verfälscht, entbehrten jeder Grundlage. 

Fest steht, daß das „Sola Scriptura“- Prinzip nirgends in der Bibel gelehrt wird, hingegen die mündliche Überlieferung als Ergänzung der „Heiligen Schrift“ anzunehmen ist. So empfiehlt der Heilige Paulus im Ersten Korintherbrief ausdrücklich die Bewahrung der mündlichen Tradition. Daher enthält sie auch nichts, was der Bibel in irgendeiner Weise widerspricht, und so bezeichnet die Bibel auch die Kirche – und nicht die Bibel als „Säule und Grundfeste der Wahrheit“. Ob die Anklage des und seit über vier Jahrzehnten im Kirchendienst als Theologielehrers an einer katholischen High School tätigen Peters tatsächlich „ein Grundpfeiler des Protestantismus restlos dekonstruieren“ wird, wie der Verlagstext urteilt, muß aber dahingestellt bleiben.

Joel S. Peters: Die Schrift allein? 21 Gründe gegen das protestantische Bibelverständnis. Renovamen-Verlag, Bad Schmiedeberg 2021, 115 Seiten, 12 Euro