© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 09/22 / 25. Februar 2022

Kabinenklatsch
Goldregen im Eiskanal
Ronald Berthold

Den Medaillenspiegel der Olympischen Winterspiele hätte ich so nicht erwartet. Deutschland belegte vor vier Jahren den zweiten Platz. Nach dem Debakel bei den Sommerspielen in Tokio mit Rang neun hatte ich für Peking einen ähnlichen Abstieg befürchtet. Aber ist es nicht schön, mal positiv überrascht zu werden? Ein Land, in dem der Leistungsgedanke zuweilen verpönt ist, kann einen Erfolg feiern und stolz auf seine Sportler sein.

Wie Sie wissen, bin ich immer für eine statistische Spielerei zu haben. Raten Sie mal, welchen Platz wir in der Endabrechnung belegt hätten, wenn wir nur die Sportler des Bob- und Schlittenverbandes nach China geschickt hätten? Wenn also Biathleten, Skiläufer und -springer, Snowboarder, Eisschnell- und Eiskunstläufer usw. zu Hause geblieben wären? Auch den zweiten! Neunmal Gold, sechsmal Silber und einmal Bronze haben die Sportler im Eiskanal erkämpft. Der Rest steuerte nur drei Goldmedaillen bei.

Nun können wir es zynisch sehen und sagen: Ja, in Randsportarten, da haben wir es noch drauf. Randsportarten? Na klar: Wer von uns ist denn jemals eine solche Bahn runtergerast? Dagegen hatte fast jeder schon mal Skier oder Schlittschuhe unter den Füßen. Lassen Sie es mich aber mal positiv auslegen: Wenn wir das Potential in den publikumswirksameren Disziplinen fördern, könnten wir noch erfolgreicher sein. Dazu gehört, es Polizisten und Soldaten nicht zu neiden, wenn sie sich mehr dem Sport als ihrem Beruf widmen. Ein Leser meckerte neulich, Claudia Pechstein nehme nur deshalb mit fast 50 noch an Olympia teil, weil sie kaum bei der Polizei arbeite. Mir aber macht sie im Laufanzug mehr Freude als in Uniform.