© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/22 / 04. März 2022

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Parlament à la Ikea
Christian Vollradt

Ohne Zeitverzug fertig geworden und im Kostenrahmen geblieben: In Berlin klingt so etwas über ein Bauprojekt wie ein Aprilscherz. Glaubt man aber Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki, trifft genau das auf die nun eingeweihten und frisch bezogenen neuen Abgeordnetenbüros zu. In seiner Funktion als „Vorsitzender der Kommission des Ältestenrates für Bau- und Raumangelegenheiten“ hatte der FDP-Politiker die 400 in Holzmodulbauweise errichteten Büroeinheiten den neuen Bewohnern – oder besser: Bearbeitern – übergeben.  

In dieser Legislaturperiode nutzen Abgeordnete von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen sowie ihre Mitarbeiter die neuen Bürobauten, für die – typisch Berlin – bereits die ersten Spottnamen kursieren: „Villa Kunterbunt“, „Legohaus“ oder „Containerbau“. Offiziell firmiert der Neubau unter der Bezeichnung „Luisenblock West“. Eine der „Neuen“ ist die ehemalige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). 

Schon vor der jüngsten Bundestagswahl war absehbar: Der GröBaZ, der größte Bundestag aller Zeiten, braucht Platz:  mehr MdB, mehr Referenten und Schreibkräfte ... Doch Büroraum ist in der Mitte der Hauptstadt nicht unendlich verfügbar. Und vor allem muß der Arbeitsplatz für die Damen und Herren Volksvertreter in der Nähe des Reichstags liegen und fußläufig schnell erreichbar sein. Denn wenn eine namentliche Abstimmung anberaumt wird, müssen auch diejenigen Abgeordneten, die gerade nicht im Plenarsaal sitzen, dorthin zu den Urnen eilen. Gerufen werden sie durch akustische und optische Signale (Hupe, Klingel, Blinklichter), fünf Minuten vor der Abstimmung.

Ende Oktober 2020 hatten die Bauarbeiten im Regierungsviertel begonnen. Nach 15 Monaten und 70 Millionen Euro stehen die Module aus Holz, Aluminium und Glas in H-Form zwischen Marie-Elisabeth-Lüders-Haus (MELH) und dem Gebäude der Bundespressekonferenz. Der Erweiterungsbau des MELH ist weiterhin ein Sorgenkind der Baukommission des Bundestags. Ganz anders als der neue Nachbar ist er immer noch nicht vollständig bezogen, sondern wegen Baumängeln – Risse in der Bodenplatte – auch zehn Jahre nach dem ursprünglichen Einweihungstermin eine teure Baustelle. Wenig Anlaß zur Freude dürfte Kubicki auch der Zustand des größten Abgeordnetenbürogebäudes bieten, des Jakob-Kaiser-Hauses. Dort müssen wegen undichter Dachfenster weiterhin bunte Plastikeimer auf den Fluren aufgestellt werden, sobald es draußen stürmt und regnet.   

Unterdessen findet es die Bundestagsverwaltung besonders lobenswert, daß man jetzt beim Neubau durch die Verwendung des nachwachsenden Rohstoffs Holz und die Herstellung der Module in Berlin „für kurze Transportwege und geringe Emissionen“ gesorgt und somit nachhaltig gearbeitet habe. Eines allerdings steht fest: Die nachhaltigste, ökologischste und für den Steuerzahler kostengünstigste Lösung wäre die längst überfällige Verkleinerung des Bundestages.