© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/22 / 04. März 2022

So bleiben sie doch treu
„Kampf gegen Rechts“: Bundesinnenministerin Nancy Faeser plant, das Beamtenrecht zu verschärfen / AfD-Mitglieder im Visier
Jörg Kürschner

Es war eine klare Ansage im Willy-Brandt-Haus. „Ein besonderes Anliegen wird mir sein, die größte Bedrohung, die derzeit unsere freiheitliche demokratische Grundordnung hat, den Rechtsextremismus, zu bekämpfen“, kündigte Nancy Faeser bei der Vorstellung der neuen Kabinettsliste Anfang Dezember an. Zwei Tage später hielt sie ihre Ernennungsurkunde als Bundesinnenministerin in den Händen. Bis Ostern will die SPD-Politikerin einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vorlegen, der „jahrelang verharmlost worden“ sei. 

Zuvor, am kommenden Dienstag und Mittwoch, will das Kölner Verwaltungsgericht darüber verhandeln, ob das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als Verdachtsfall oder gesichert rechtsextremistische Bestrebung einordnen und beobachten darf. Ein weiteres Verfahren dreht sich um die Einordnung des „Flügels“ als Verdachtsfall beziehungsweise als gesichert rechtsextremistische Bestrebung. Dabei wird auch die Frage nach der Vereinbarkeit von Parteimitgliedschaft und Beamtenstatus berührt (siehe Infokasten).

„Kein Interesse an  unkritischer Beamtenschaft“

Geplant ist eine Reform des Disziplinarrechts. Faesers Kurs ist klar. „Wir werden Verfassungsfeinde schneller aus dem öffentlichen Dienst entfernen. Extremisten haben in Behörden nichts verloren“. Im Visier hat die Ressortchefin die AfD insgesamt, insbesondere aber deren Politiker Björn Höcke und Jens Maier, auch wenn sie diese nicht direkt nennt, nur von „prominenten Fällen“ spricht. Zur Erinnerung: Der thüringische AfD-Landes- und Fraktionschef hat früher als Geschichtslehrer in Hessen gearbeitet, der Heimat Faesers. Würde Höcke die Politik an den Nagel hängen, hätte er als beurlaubter Beamter ein Rückkehrrecht in den hessischen Staatsdienst. 

Maier hatte im vergangenen Herbst den Wiedereinzug in den Bundestag verpaßt und will nun als Richter in die sächsische Justiz zurückkehren. Höckes außerparlamentarische Aktivitäten können mit nachrichtendienstlichen Mitteln, also etwa durch Abhören des Telefons, überwacht werden. Maier wird vom Verfassungsschutz des Freistaates als Rechtsextremist eingestuft. In Bayern führt die Landesregierung eine Liste extremistischer Organisationen, auf der die Junge Alternative (JA) verzeichnet ist.

Faeser bewegt sich bei der Änderung des Disziplinarrechts auf rechtlich schmalem Grat. Das Grundgesetz verlangt von Beamten Verfassungstreue. Wer keine Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten, kann aus dem Beamtenverhältnis entlassen werden. Als schärfste Disziplinarmaßnahme kann sogar das Ruhegehalt aberkannt werden. 

Bei allem politischen Eifer der Ministerin dürfte eine „stille“ Parteimitgliedschaft als eine Form der Meinungsfreiheit kaum für einen Rausschmiß ausreichen, legt doch das Bundesbeamtengesetz fest, „Ernennungen sind nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ohne Rücksicht auf …. politische Anschauungen … vorzunehmen“. In einem noch von Faesers Amtsvorgänger Horst Seehofer (CSU) anläßlich der Einstufung der AfD als „Prüffall“ in Auftrag gegebenen Gutachten heißt es zudem, „Staat und Gesellschaft können an einer unkritischen Beamtenschaft kein Interesse haben“. Nur eine aktive Betätigung in einer Partei oder Organisation verbunden mit öffentlichen verfassungsfeindlichen Äußerungen könnte demnach eine Entlassung rechtfertigen. 

Ein Beispiel: Der hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) entschied 2018, daß allein die Teilnahme an einer die Asyl- und Flüchtlingspolitik kritisierenden Versammlung einschließlich des Tragens eines Transparents mit der Aufschrift „Asyl macht uns arm“ für sich genommen nicht ausreicht für die Annahme, es fehle an der Bereitschaft, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzustehen. Erst weitere Aktivitäten wie die Teilnahme an Demonstrationen mit Neonazis belegten nach Ansicht des Gerichts Zweifel an der Verfassungstreue des Bewerbers. Die Innenministerin dürfte das Urteil kennen, hat sie doch bis zu ihrer Ernennung als Rechtsanwältin in Frankfurt am Main gearbeitet.

Während Beamte auf Lebenszeit nicht so einfach entlassen werden können, gestaltet sich das Verfahren bei Bewerbern einfacher. Weil nicht Gerichte entscheiden, sondern häufig politische Vorgaben in Behörden das Vorgehen prägen können. Konkret: Darf ein Bewerber beim Einstellungsgespräch nach der Mitgliedschaft in der vom Verfassungsschutz möglicherweise als „Verdachtsfall“ eingestuften AfD gefragt werden, ohne daß irgendwelche Hinweise auf ein verfassungswidriges Verhalten des Anwärters vorliegen? 

Polemik gegen etablierte Parteien verfassungsfeindlich?

Das Seehofer-Gutachten verneint dies bezogen auf die AfD sowohl als „Prüffall“ wie auch im „Verdachtsfall“. Denn die „Zugehörigkeit eines Beamten zu einer Partei oder Organisation, deren Verfassungsfeindlichkeit nicht festgestellt wurde, die aber von den Verfassungsschutzbehörden als Prüffall oder Verdachtsfall behandelt werden, ist beamtenrechtlich ohne Relevanz“, heißt es in dem Gutachten des Innenministeriums.

Die neue Bundesinnenministerin könnte sich über die Expertise ihres Vorgängers hinwegsetzen oder deren Fehlerhaftigkeit begründen. Dabei steht sie unter Druck von der SPD zugeneigten Verbänden, denen es in ihrem „Kampf gegen Rechts“ nicht selten an rechtlichem Tiefgang mangelt. Kein einfaches Unterfangen für die Juristin Faeser, ist doch die Grenze zur umfassenden, politisch anrüchigen Gesinnungsprüfung, die auch Seehofers Gutachter gezogen hat, nicht weit. 

Allerdings hat sich in den vergangenen Jahren die Tendenz verstärkt, bereits polemische Kritik an den etablierten Parteien als Beleg für verfassungsfeindliche Zielsetzungen zu werten. So verweist der Staatsrechtler Dietrich Murswiek darauf, daß in Verfassungsschutzberichten sogar die Kritik am Wahlverfahren der Bundesverfassungsrichter als Anzeichen für eine extremistische Zielsetzung ausgelegt worden ist. Die Reform des Disziplinarrechts, soviel scheint sicher, dürfte bald die Gerichte beschäftigen.





Verfassungsschutz und AfD

Am kommenden Dienstag und Mittwoch findet vor dem Verwaltungsgericht Köln die mündliche Verhandlung über mehrere Klagen der AfD gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) statt. Unter anderem geht es um die Frage, ob die Partei als Verdachtsfall oder gar als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingeordnet und beobachtet werden darf. Beim BfV ist man sicher, dies bejahen zu können. Unmittelbar nach dem Austritt Jörg Meuthens legte die von der Behörde beauftragte Anwaltskanzlei (JF 5/22) in einem der JUNGEN FREIHEIT vorliegenden Schriftsatz an das Gericht weitere Belege dafür vor, warum die AfD „tatsächliche Anhaltspunkte“ für gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen biete und eine Einstufung als Verdachtsfall rechtmäßig sei. Dabei handelt es sich vor allem um Aussagen Meuthens über „rechtsextremistische und totalitäre Tendenzen“ sowie „völkisch-nationalistische Positionen“. Setzt sich das BfV vor Gericht damit durch, würde dies den Druck auf Beamte, die AfD-Mitglied sind, deutlich erhöhen. Schon vor Jahren legte der Staatsrechtler Dietrich Murswiek in einem Gutachten dar: Ein Beamter, der Mitglied in einer vom Verfassungsschutz beobachteten Partei bleibt, verletzt seine Verfassungstreuepflicht nicht, „sofern er sich für eine verfassungsmäßige Ausrichtung der Partei einsetzt und sich von den verfassungsfeindlichen Bestrebungen innerhalb der Partei distanziert“. Disziplinarmaßnahmen habe ein Beamter dann nicht zu befürchten. Dies gelte jedenfalls, „solange verfassungsmäßige Kräfte innerhalb der Partei die Oberhand haben“. Jedem Beamten, Soldaten oder Angestellten im öffentlichen Dienst sei daher „dringend geraten“, sich im Falle der Beobachtung seiner Partei durch den Verfassungsschutz „von verfassungsfeindlichen Kräften innerhalb der Partei entschieden abzugrenzen und sich für eine verfassungsmäßige Ausrichtung der Partei einzusetzen“. (vo)

Foto: Polizist, Verwaltungsmitarbeiter und Lehrerin: Bundesinnenministerin will „Verfassungsfeinde schneller aus dem öffentlichen Dienst entfernen“