© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/22 / 04. März 2022

Grüße aus … Brüssel
Am Place du Luxembourg
Gunnar Beck

Die Corona-Restriktionen bereiten einer ganzen Reihe an Berufsgruppen immer noch Kopfzerbrechen. Eine davon sticht jedoch besonders hervor, ist sie doch auf direkte zwischenmenschliche Kontakte, ein besonderes Näheverhältnis und ein gutes Einvernehmen angewiesen. Nein, die Rede ist nicht von Zahnärzten oder Fitneßtrainern, sondern von Lobbyisten. Während die einen körpernahe Dienstleistungen anbieten, arbeiten die anderen im politiknahen Bereich.

Doch der Reihe nach: Wer verstehen will, wie in den europäischen Institutionen Gesetze gemacht werden, der sollte einen großen Bogen um die offiziellen Besuchergruppen machen und stattdessen einen Nachmittag in der Mickey-Bar verbringen. Ganz am anderen Ende der „Place du Luxembourg“ findet sich eine recht unscheinbare Cafeteria, die allerdings einen zugegebenermaßen besonders schönen Blick auf den Park Leopold gewährt. Hier ist, so ein gut gehütetes und deshalb allgemein bekanntes Brüsseler Geheimnis, das Epizentrum der Lobbyarbeit unzähliger Interessenvertretungen und ihrer Lobbyisten.

Hier werden zwischen Capuccino und Espresso die Gedanken und Ideen in die Köpfe einzelner Abgeordneter gepflanzt, die nachher zu manchmal überraschenden Entscheidungen im Plenum führen. Die Tische stehen weit genug auseinander, was besprochen wird, wissen nachher nur die wenigsten.

Etwa 286mal besuchten letztes Jahr Mitarbeiter von Alphabet Angegestellte der EU-Kommission.

Denn Brüssel ist nicht nur der Sitz der EU-Kommission, es ist auch der Sitz einer schier unübersehbaren Zahl an Lobbyorganisationen unterschiedlicher Größe. Einige, wie etwa der Verband der Chemischen Industrie, geben etwa neun Millionen Euro für ihre Tätigkeit aus, verfügen über Hausausweise und gehen im Gebäude ein und aus. Zumindest dann, wenn gerade keine Corona-Restriktionen das Geschäft verunmöglichen. Wer ein wenig im Internet googelt wird schnell fündig und staunt über die Zahl der Kontakte zu Abgeordneten. Der Betreiber der Suchmaschine, mit der diese Zahl gefunden wird – nämlich Alphabet – gehört zum Beispiel auch zu den eifrigen Einflüsterern. Etwa 286mal, so schätzen Kritiker, hatte der Konzern im letzten Jahr Kontakt zu Mitarbeitern der Kommission und verfügt ebenfalls über immerhin acht Hausausweise, die den Zutritt zum Europäischen Parlament erlauben.

Sicher: Viele dieser Vertreter gehen ihrer Arbeit seriös nach, informieren über die Arbeit ihrer Branche und sorgen dadurch für einen Kontakt der europäischen Politik zu relevanten Wählergruppen. Aber es gibt eben auch schwarze Schafe, und die profitieren besonders von der Unübersichtlichkeit des Brüsseler Politikbetriebs – auch das haben sie mit anderen Berufsgruppen der Hauptstadt gemein.