© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/22 / 04. März 2022

„Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien“
Versorgungssicherheit in Deutschland: Kurzfristig lassen sich die Gas-, Steinkohle- und Erdöllieferungen aus Rußland kaum ersetzen
Marc Schmidt

Der russische Angriff auf die Ukraine hat Teilen des Ampel-Koalitionsvertrags die Grundlage entzogen: Aus Ab- wird Aufrüstung, und aus dem Versprechen „ein Deutschland frei von Atomwaffen“ werden neue Bundeswehrjets für die nukleare Teilhabe. Nur Angela Merkels „Energiewende“ scheint bislang noch sakrosankt: „Erneuerbare Energien leisten nämlich nicht nur einen Beitrag zur Energiesicherheit und -versorgung“, erklärte Finanzminister Christian Lindner in der Bundestagskrisensitzung am Sonntag. Sie lösen „uns von Abhängigkeiten. Erneuerbare Energien sind deshalb Freiheitsenergien“, so der FDP-Chef.

Woher der Strom bei Dunkelflauten woherkommt, verriet Lindner nicht. Weshalb bekannte sich der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck nicht ganz so pathetisch und überzeugt zu Solar- und Windkraft. Denn zusätzliche Schuldenmilliarden lassen sich einfacher „organisieren“ als praktische Energiesicherheit und Rohstoffimporte. Theoretisch lassen sich die deutschen Braunkohlekraftwerke jahrzehntelang weiterbetreiben. Auch bei einigen Reaktoren wäre eine Wiederinbetriebnahme mit hohem Aufwand mittelfristig möglich. Das für Dezember geplante Abschalten der verbliebenen AKWs Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 wäre jetzt noch zu verhindern – wenn den Betreibern belastbare Zusagen gemacht würden.

Doch zur Zeit ist Rußland nicht nur wichtigster Lieferant für Erdgas, sondern auch für Steinkohle: Knapp die Hälfte des Imports von 40 Millionen Tonnen stammt aus Putins Reich. Die alternativen Lieferanten in Nord- und Südamerika oder Australien haben wegen des langen Schiffstransports Kostennachteile und eine deutlich schlechtere Ökobilanz. Der subventionierte heimische Abbau ging mit dem Schließen der letzten Ruhr-Zeche Prosper-Haniel im Dezember 2018 zu Ende.

Flüssiggas per Schiff aus Amerika oder Katar zu beziehen ist teuer

In der EU sank die Steinkohleförderung 2020 auf 56 Millionen Tonnen – das waren etwa 80 Prozent weniger als 1990. Die wirtschaftlich nutzbaren Braunkohlevorräte in Rheinland, Lausitz und Mitteldeutschland summieren sich auf 35.900 Millionen Tonnen – doch angesichts der Klimapanik ist eine Nutzung illusorisch.

Etwa 55 Prozent des importierten Gases stammt bislang aus Rußland, es wird über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1, Jamal (Weißrußland/Polen) und Transgas/Bratstwo (Ukraine/Slowakei) geliefert. Im Gegensatz zur Kohle besteht auf dem Weltmarkt bei konstantem Verbrauch ein stark preistreibendes Mengenproblem, sollte Rußland freiwillig oder durch Sanktionen dauerhaft von Lieferungen nach Europa ausgeschlossen werden. Größere Lieferungen aus den Niederlanden und Norwegen oder aus Afrika (Mittelmeer-Pipelines) scheitern an Kapazitätsproblemen.

Flüssigerdgas (LNG) per Schiff aus Amerika oder Katar zu beziehen ist eine teure und aufwendige Alternative. Der energieintensive Transport und die umstrittene Förderung mittels Fracking in den USA reduzieren die ökologischen Vorteile gegenüber der Kohle. Selbst wenn ausreichend Tankerkapazitäten bereitstünden, fehlen in Deutschland bislang Erdgasterminals und deren Anbindung ans Gasnetz. Habecks versprochene LNG-Initiative dürfte aber in Washington, Brüssel und den Golfstaaten auf freudige Zustimmung stoßen – nur was sagen Basis-Grüne, Fridays for Future & Co.“ dazu? Und bis zum nächsten Winter ist kein Gasterminal betriebsbereit.

Auch für unraffiniertes Erdöl ist Rußland – vor allem über die Druschba-Pipeline – Deutschlands Hauptlieferant. Die russische Importmenge war im Schnitt größer als die Gesamtmenge der drei folgenden Lieferländer USA, Großbritannien und Norwegen. Beim Öl-Import rächt sich die deutsche Politik, möglichst unabhängig von den muslimisch dominierten OPEC-Staaten zu werden. Schon jetzt herrschen am Ölmarkt Rekordpreise. Die Kapazitäten für Deutschland und Osteuropa – als Ersatz russischer Lieferungen – sind kurzfristig beschränkt. Der Iran würde sicher gern liefern, doch wegen der Atombomben-Frage ist das Land seit Jahren unter einem harten Sanktionsregime.

Bizarr ist, daß die USA zunächst weiterhin relativ billiges russisches Öl importieren, denn ein hoher Benzinpreis oder gar ausverkaufte Tankstellen würden bei den Zwischenwahlen im November zu einem Desaster für Joe Bidens US-Demokraten. Putin-Öl ersetzt bislang Öl aus dem sanktionierten Venezuela, jahrzehntelang „Hauslieferant“ der USA. Zudem sind die dortigen Förderanlagen durch sozialistische Mißwirtschaft ruiniert. Teureres Fracking-Öl läßt sich nur bei hohen Weltmarktpreisen rentabel fördern – und es taugt nicht als Rohstoff für viele US-Raffinerien. Das Öl soll aber gewinnbringend nach Europa exportiert werden. Aus alldem folgt die bittere Erkenntnis: Ein Verzicht auf die Kohle-, Gas- und Ölimporte aus Rußland würde kurzfristig die Versorgungssicherheit in Deutschland dramatisch gefährden. Mittelfristig sind Alternativen denkbar – aber zu viel höheren finanziellen, politischen und ökologischen Kosten.

Rohstoffsituation in Deutschland 2020:

 www.bgr.bund.de

 braunkohle.de