© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/22 / 04. März 2022

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Weil unsere Außenministerin Annalena Baerbock „ein Quell ständiger Freude“ (Georg Pazderski) ist und der Krieg in der Ukraine zumindest vorübergehend mein Fernsehverhalten verändert hatte, verirrte ich mich vergangenen Donnerstag abend in die ZDF-Sendung „Was nun, Frau Baerbock?“. Dort erklärte die Grünen-Politikerin mit Blick auf die Treffen von Kanzler Olaf Scholz mit Wladimir Putin und von ihr mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow in Moskau: „Wir wurden eiskalt belogen. Der Kanzler wurde belogen, ich vom russischen Außenminister, die gesamte internationale Gemeinschaft.“ Potzblitz – in der Politik wird gelogen! Wer hätte das gedacht?

Es ist immer wieder erstaunlich, auf Menschen zu treffen, die in einer komplett anderen Wirklichkeit leben.

Die Münchner Philharmoniker haben am Dienstag dieser Woche ihren Chefdirigenten Valery Gergiev gefeuert. Grund: Der 68jährige Russe wollte sich nicht einem Ultimatum von Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter beugen und sich von Putin und dessen Angriffskrieg auf die Ukraine distanzieren. Der SPD-Politiker hatte Gergiev, der als Freund und Unterstützer Putins gilt, vorigen Freitag aufgefordert, sich bis Montag in diesem Sinne zu erklären. Offensichtlich mochte sich der Star-Dirigent jedoch nicht erpressen lassen und hüllte sich in Schweigen. „Es wird damit ab sofort keine weiteren Konzerte der Münchner Philharmoniker unter seiner Leitung geben“, teilte Reiter daraufhin mit. Auch andere Häuser und Orchester haben die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten beendet, darunter die Carnegie Hall in New York, die Mailänder Scala, die Wiener Philharmoniker, das Festspielhaus in Baden-Baden und die Hamburger Elbphilharmonie. Wir lernen: Um auf dem Altar der Cancel Culture geopfert zu werden, reicht es künftig, sich nicht zu äußern. Ebenfalls unter Druck geraten ist unterdessen die russische Star-Sopranistin Anna Netrebko. Sie reagierte am Samstag auf Instagram: „Ich möchte, daß dieser Krieg aufhört und daß die Menschen in Frieden leben können. Das erhoffe ich mir, und dafür bete ich.“ Zugleich fügte sie aber an: „Es ist nicht richtig, Künstler oder andere Personen des öffentlichen Lebens zu zwingen, ihre politische Ansichten öffentlich zu äußern und ihr Vaterland zu beschimpfen.“ Ihre für die nächsten Monate geplanten Konzerte hat sie abgesagt.


Ganz im Zeichen einer Neuinszenierung von Richard Wagners „Ring“-Tetralogie steht der Auftakt zur Spielzeit 2022/23 an der Staatsoper Berlin. Alle vier Abende werden innerhalb von nur einer Woche im Oktober Premiere feiern; zwei weitere vollständige Zyklen werden sich anschließen. Der Kartenvorverkauf dafür beginnt am 12. April. Für die Produktion zeichnen der russische Regisseur und Bühnenbildner Dmitri Tcherniakov sowie der Dirigent Daniel Barenboim verantwortlich. Es ist nach „Parsifal“ und Tristan und Isolde“ ihre dritte gemeinsame Wagner-Unternehmung. Die Besetzung soll Anfang April bekanntgegeben werden.


Es ist immer wieder erstaunlich, auf Menschen zu treffen, die in einer komplett anderen Wirklichkeit leben.