© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 10/22 / 04. März 2022

Europas Niederlage in Asien
Japan erobert 1942 Burma, Indonesien und Singapur / Nach dem Zweiten Weltkrieg leitete dieser Prozeß die Dekolonialisierung ein
Thomas Schäfer

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges herrschten die europäischen Kolonialmächte über weite Teile des asiatischen Kontinents und der südostasiatischen Inselwelt. Britisch-Indien umfaßte nicht nur den gesamten Subkontinent, sondern auch die heutigen Staaten Pakistan und Bangladesch. Dazu kamen die Kronkolonien Britisch-Ceylon und Burma sowie Britisch-Malaya mit den Straits Settlements. Französisch-Indochina erstreckte sich über das jetzt zu Vietnam, Laos und Kambodscha gehörende Territorium. Und Niederländisch-Indien war in etwa deckungsgleich mit dem 1945 proklamierten Inselstaat Indonesien. Außerdem unterstanden die seit 1935 teilautonomen Philippinen noch der faktischen Kontrolle der USA.

Nur wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg war das europäisch-amerikanische Kolonialreich in Asien dann aber abgesehen von einigen kleineren Restgebieten Geschichte. Das resultierte ganz wesentlich aus dem Agieren des Kaiserreiches Großjapan. Dieses hatte sich bis zum Ersten Weltkrieg nur zwei Kolonien aneignen können, nämlich Taiwan und Korea. An dem relativ geringen Überseebesitz änderte sich auch nach 1918 nichts – außer daß die Siegermacht Japan durch den Vertrag von Versailles 1919 das Mandat über einige ehemals zum deutschen Kolonialreich gehörende Inselgruppen Ozeaniens, darunter die Nördlichen Marianen, die Marshall-Inseln und die Karolinen, übertragen bekam. 

Japan proklamierte 1940 asiatische „Wohlstandssphäre“

Weil das ebenso überbevölkerte wie rohstoffarme Nippon jedoch nach deutlich mehr „Lebensraum“ strebte, versuchte es ab 1931, Teile von China unter seine Kontrolle zu bringen. Hieraus resultierten die Schaffung des Marionettenstaates Mandschukuo (JF 9/22) zwischen der koreanischen Halbinsel und der Mongolei sowie der Einfall in weitere Provinzen des Reiches der Mitte ab Juli 1937, in deren Folge Japan große Gebiete in Ostchina besetzte und schließlich im März 1940 in Nanjing eine zweite chinesische Regierung von Tokios Gnaden unter der Führung von Wang Jingwei installierte.

Am 1. August 1940 proklamierte der japanische Außenminister Matsuoka Yōsuke zudem noch die „Großostasiatische Wohlstandssphäre“, deren Zweck darin bestehen sollte, Asien ökonomisch wie politisch zu einigen. In diesem Zusammenhang wurde häufig auch die Parole „Asien den Asiaten!“ bemüht, wobei natürlich klar war, daß Japan die Rolle des primus inter pares beanspruchte. Doch noch fehlte eine Gelegenheit zum Losschlagen gegen die weißen Kolonialherren.

Diese ergab sich dann aber schon im Laufe des Jahres mit Hitlers siegreichem Westfeldzug gegen die Benelux-Staaten und Frankreich sowie der Intensivierung des deutschen See- und Luftkrieges gegen Großbritannien. Die hierdurch verursachte Schwächung beziehungsweise gar Vernichtung der militärischen Kapazitäten der Mutterländer ermutigte Japan zunächst dazu, Druck auf die Kolonialverwaltung des Vichy-Regimes in Französisch-Indochina auszuüben, bis diese im September 1940 den Henry-Matsuoka-Vertrag unterzeichnete, welcher Japan das Recht einräumte, Truppen in Indochina zu stationieren. 

Daraufhin wurde die Kolonie zum Aufmarschgebiet der japanischen Heeresgruppe Süd unter Feldmarschall Terauchi Hisaichi, dessen Hauptquartier in Saigon lag. Tokio verfügte somit nun über ein ideales Sprungbrett für Aktionen gegen Britisch-Indien, Burma und Britisch-Malaya mit der Inselfestung Singapur sowie auch Niederländisch-Indien und die Philippinen.

Die japanische Annexion Südostasiens begann unmittelbar nach dem Angriff auf Pearl Harbor am 8. Dezember 1941. Im Rahmen der Operation E landete die 25. Armee unter Generalleutnant Yamashita Tomoyuki im Hafen von Khota Baru im Norden von Malaya und drang anschließend bis nach Singapur vor, wo die Briten am 15. Februar 1942 kapitulierten. Die Invasion über See gelang nicht zuletzt deshalb so perfekt, weil japanische Luftstreitkräfte am 10. Dezember das Schlachtschiff „Prince of Wales“ und den Schlachtkreuzer „Repulse“ der Royal Navy versenken konnten.

Parallel hierzu marschierte die 15. japanische Armee unter Generalleutnant Iida Shōjirō von Französisch-Indochina aus in Thailand ein und erzwang bis zum 21. Dezember 1941 den Abschluß eines bilateralen antibritischen und antiamerikanischen Militärbündnisses. Ebenso begann die 14. Armee unter Generalleutnant Homma Masaharu am 8. Dezember mit Angriffen gegen die US-Stützpunkte auf den Philippinen (Operation M). Und dann wurde bald auch noch die erste teilweise zu Niederländisch-Indien gehörende Insel attackiert. Am Anfang stand hier die Operation B, also die Landung auf Borneo durch eine Vorausabteilung der 35. Brigade der 18. Infanterie-Division des kaiserlichen Heeres unter Generalmajor Kawaguchi Kiyotake ab dem 16. Dezember 1941. Höhepunkte des japanischen Siegeszuges gegen die westlichen Kolonialmächte waren neben dem Fall von Singapur die Eroberung der strategisch wichtigen Hafenstadt Rangoon in Burma durch die aus Thailand kommende 15. Armee Iidas am 7. März 1942 sowie die Kapitulation der niederländischen Streitkräfte auf Java am Tag darauf, womit sich nun die gesamte Inselwelt Niederländisch-Indiens in japanischer Hand befand. Dem folgte die Eroberung der Philippinen bis zum 6. Mai 1942.

Der Kampf Japans gegen den europäisch-amerikanischen Kolonialismus endete auch nicht, als das Kaiserreich nach der Kriegswende aufgrund der verlorenen Luft-See-Schlacht bei Midway ab Juni 1942 sukzessive in die Defensive geriet und sich zunehmend verbissener gegen die US-Militärmaschinerie wehren mußte. Davon zeugt unter anderem die Operation U-gō im Frühjahr 1944, in deren Verlauf die 15. Armee des Tenno die Grenze zwischen Burma und Britisch-Indien überschritt, danach allerdings dann aber im Bereich der Städte Imphal und Kohima ein „Stalingrad im Dschungel“ erlebte. Parallel hierzu förderte Tokio auch antikolonial-nationalistische einheimische Kräfte, welche später vielfach zu Vorkämpfern für die Unabhängigkeit ihrer Heimat avancierten, als Japan besiegt am Boden lag und die alten Kolonialmächte vergebens versuchten, den Vorkriegszustand wiederherzustellen. Insofern war der Ruf „Asien den Asiaten!“ keineswegs ungehört verhallt.

Foto: Japanische Soldaten jubeln 1942 über ihren Sieg gegen die Briten vor dem Tempel im burmesischen Mandalay: Die alten Kolonialmächte haben nach 1945 vergeblich versucht, den Vorkriegszustand wiederherzustellen