© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/22 / 11. März 2022

Die Realität ist wenig divers
Geschlechterdebatte: Die Zahl der Personen in Deutschland, die sich weder als „männlich“ noch als „weiblich“ definieren, ist verschwindend gering
Björn Harms

Mitte Februar beschloß der Heidelberger Gemeinderat mit großer Mehrheit, geschlechtsneutrale Toiletten in städtischen Einrichtungen auszubauen. Künftig sollen bei allen städtischen Neu- und Umbauten nicht nur das Hochbauamt und die zuständigen Bauherrenämter, sondern auch die „Koordinationsstelle LSBTIQ+“ über den Bedarf geschlechtsneutraler Toiletten in den Gebäuden bestimmen.

Glaubt man Lobbygruppen wie der Koordinationsstelle, ist die Notwendigkeit solcher Projekte natürlich riesig. Doch wie sieht es in der Realität aus? Wie viele Personen, die sich selbst außerhalb der Kategorien „männlich“ oder „weiblich“ verorten, gibt es eigentlich in Deutschland? Eine kürzlich veröffentlichte Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten René Springer (AfD) liefert hierzu aktuelles Datenmaterial aus verschiedensten Bereichen. Und so viel wird deutlich: Von einem wirklichen Bedarf kann angesichts der geringen Personenzahl kaum die Rede sein.

Im Dezember 2018 hatten Bundestag und Bundesrat bekanntlich entschieden, künftig den Eintrag „divers“ im Geburtenregister zu schaffen. Damit setzte man eine zuvor getroffene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts um. Wie viele Personen haben sich seitdem dafür entschieden? Eine konkrete Zahl kann die Bundesregierung noch immer nicht nennen. Sie verweist auf eine Schätzung des Bundes-innenministeriums aus dem Oktober 2020. Laut einer Umfrage in den Ländern hatten demnach 394 Personen eine Erklärung abgegeben, „nach der die Eintragung ‘divers’ lauten oder der Geschlechtseintrag gestrichen werden soll“. In 1.191 Fällen hätten Personen ihren Eintrag von weiblich zu männlich oder umgekehrt gewechselt. 

„Geschlechtervielfalt als faktenfreier Mythos entlarvt“

Doch die Zahlen sind nicht neu. Geben vielleicht andere Institutionen mehr Auskunft über die Frage, wie viele diverse oder nichtbinäre Geschlechtsidentitäten tatsächlich in Deutschland leben? Wie sieht es zum Beispiel bei den gesetzlich Versicherten aus? Auch hier hat die Bundesregierung zunächst „keine Kenntnisse darüber“, wie viele Personen in den amtlichen Statistiken als „divers“ eingetragen sind. Doch die Zahl der Versicherten mit „unbestimmtem Geschlecht“ ist bekannt. Sie lag 2019 bei 189 Personen, stieg dann auf 397 (2020) und beträgt nun 705 (2021). Berechnet man den Anteil an den knapp 73 Millionen Gesamtversicherten, ergeben sich Werte von 0,00025 Prozent (2019), 0,00054 Prozent (2020) und 0,00095 Prozent (2021).

Auch in der Arbeitslosenstatistik ist lediglich eine verschwindend kleine Minderheit verzeichnet, die sich nicht in die herkömmlichen Geschlechtskategorien einordnen will. So gab es im gleitenden Durchschnitt des Jahres 2021 knapp 5,327 Millionen Regelleistungsberechtigte, das heißt Menschen, die per Gesetz Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld haben. Die Zahl der Männer lag dabei im vergangenen Jahr bei rund 2,68 Millionen Personen aus, die der Frauen bei rund 2,65 Millionen. Nur 151 Regelleistungsberechtigte, davon 106 deutsche Staatsbürger und 45 Ausländer, machten keine Angabe zum Geschlecht, was auch die Kategorie „divers“ umfassen kann. Ihr Anteil unter den Transferempfängern gemäß SGB II beträgt somit lediglich 0,0028 Prozent.

Bei der Deutschen Rentenversicherung zeichnen die vorliegenden Daten ein ähnliches Bild: 2019 waren in ganz Deutschland 355 Personen registriert, deren Geschlecht mit „divers“ oder „unbestimmt“ angegeben wurde. 2020 steigerte sich die Zahl auf 644 Renteneinzahler. Die Daten für 2021 liegen noch nicht vor. Das Ausländerzentralregister verzeichnete unterdessen zwischen 2019 und dem vergangenen Jahr 120 Personen, die sich als „divers“ verstehen. Das sind 0,004 Prozent aller im genannten Zeitraum neu registrierten Ausländer (2.961.809). Dazu gaben die Ämter bei 6.148 Personen in den Unterlagen „Geschlecht unbekannt“ an.

Da die Ampelkoalition derzeit auf ein neues Selbstbestimmungsgesetz hinarbeitet, lohnt sich natürlich auch die Frage, wie viele Personen in den staatlichen Behörden sich eigentlich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zurechnen? Die Antwort ist eindeutig: Der Bundesregierung sind lediglich zwei Fälle bekannt, in denen Mitarbeiter die Angabe „divers“ nutzen – in allen Bundesministerien, obersten Bundesbehörden und nachgeordneten Dienststellen, vom Minister bis zur studentischen Aushilfskraft.

Die tatsächliche Zahl von Personen in Deutschland, die sich keinem Geschlecht zuordnen wollen, ist also überschaubar. Der öffentliche Druck der Lobbygruppen ist jedoch massiv, auch, weil für sie staatliche Mittel im Überfluß vorhanden sind, wie die Antwort der Bundesregierung ebenfalls verdeutlicht. 

„In Deutschland hat sich eine politische Klasse herausgebildet, die Diversität und vermeintliche Gendergerechtigkeit über alles stellt“, kommentiert Springer gegenüber der JUNGEN FREIHEIT das Ergebnis seiner Anfrage. Wie abgehoben und wirklichkeitsfremd eine solche Politik sei, zeigten die nackten Zahlen, die „die von Genderideologen behauptete ‘Geschlechtervielfalt’ als faktenfreien Mythos entlarven“. Selbstverständlich seien intersexuelle Menschen vollwertiger Teil unserer Gesellschaft, betonte der Politiker aus Brandenburg. „Aber die Einführung einer neuen Geschlechterkategorie für eine extrem geringe Anzahl von Menschen ist nicht nur unangemessen, sondern macht das bedenkliche Ausmaß der ideologischen Unterwanderung wichtiger staatlicher Institutionen wie Bundesverfassungsgericht und Bundestag sichtbar.“

Lesen Sie in der kommenden Ausgabe über die Geldflüsse an Lobbygruppen und Forschungsprojekte. 

 Kommentar Seite 2

Foto: „WC für alle“: Schild an einer Unisex-Toilette in einer Schule. Für den Abgeordneten René Springer ist das „wirklichkeitsfremd“