© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/22 / 11. März 2022

Wer macht und wer macht mit?
Debatte um Aufrüstung und Dienstpflicht: Nach Jahren des kontinuierlichen Abbaus soll die Bundeswehr wieder mehr Waffen und Gerät bekommen / Relative Mehrheit der Deutschen für Wiedereinstieg in die Wehrpflicht
Peter Möller

Geld weckt Begehrlichkeiten: Seit der Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), den Wehretat dauerhaft auf mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu erhöhen und der Bundeswehr ein Sondervermögen von hundert Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen, ist die Diskussion darüber voll entbrannt, wie das Geld am sinnvollsten investiert werden könnte.

Dabei zeigt sich, daß auch hier der Teufel im Detail steckt. Der unverhoffte Finanzsegen sei im Berliner Bendlerblock mit einer Mischung aus Jubel und Panik aufgenommen worden, berichtet der Spiegel. Denn die Planer im Verteidigungsministerium müssen nun möglichst schnell weitreichende Entscheidungen treffen.

Einen ersten Eindruck davon, wie die unverhofften Milliarden investiert werden könnten, gibt eine interne Aufstellung aus dem Verteidigungsministerium, aus dem das Nachrichtenmagazin zitiert. Demnach sind aus dem im Papier mit 102 Milliarden Euro veranschlagten Sondervermögen 68 Milliarden Euro für nationale Großprojekte vorgesehen und 34 Milliarden Euro für multinationale Rüstungsvorhaben – in erster Linie für das geplante deutsch-französisch-spanische zukünftige Luftkampfsystem (FCAS) und den von Frankreich und Deutschland gemeinsam entwickelten Nachfolger des Kampfpanzers Leopard 2.

Von den Milliarden für nationale Projekte entfallen allein 20 Milliarden Euro auf Munition, 15 Milliarden auf Kampfflugzeuge (Tornado-Nachfolge und Weiterentwicklung des Eurofighters), fünf Milliarden Euro sind demnach für Transport-hubschrauber vorgesehen (Sikorsky CH-53K oder Boeing H-47 Chinook). Weniger umfangreiche Beträge sind für Kommunikationssysteme (drei Milliarden), Korvetten (zwei Milliarden) und Flugabwehrsysteme (600 Millionen Euro) eingeplant.

Doch nicht nur Großgerät steht auf dem Einkaufszettel. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) will mit den zusätzlichen Mitteln für die Bundeswehr auch die persönliche Ausstattung der Soldaten verbessern. „Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten ihren Dienst mit beeindruckendem Engagement und höchster Professionalität – sie sichern unsere Freiheit. Deshalb verdienen sie die bestmögliche Ausstattung“, sagte sie der Bild am Sonntag. Sie habe Generalinspekteur Eberhard Zorn beauftragt, „mit Priorität die persönliche Ausrüstung der Truppe schnellstmöglich zu verbessern. Das steht jetzt ganz weit oben auf meiner Agenda.“ Berichte über mangelnde Winterausrüstung für die in Litauen stationierten Einheiten der Bundeswehr oder fehlende Schutzwesten und Nachtsichtgeräte sollen bald der Vergangenheit angehören.

Die Union sorgt sich unterdessen um den Schutz Berlins vor möglichen russischen Angriffen und fordert die Beschaffung eines Flugabwehrsystems für die deutsche Hauptstadt nach dem Vorbild des israelischen Raketenabwehrsystems „Iron Dome“. „Mit unseren derzeitigen Mitteln wären wir nicht in der Lage, unsere Hauptstadt effektiv vor Raketenbeschuß zu beschützen“, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Florian Hahn, der Bild am Sonntag. Die Kosten für ein solches System veranschlagt er auf zehn Milliarden Euro.

Industrie könnte Produktion massiv steigern

Welche Waffensysteme am Ende auch immer ganz oben auf der Einkaufsliste der Bundeswehr stehen: Eine schnelle und effektive Abwicklung der geplanten Rüstungsprojekte hängt entscheidend von einer Straffung des internen Beschaffungsverfahrens ab. Zu oft verzögerte sich in der Vergangenheit die Lieferung neuer Waffen um Jahre, verbunden mit enormen Preissteigerungen. Grund hierfür waren nicht zuletzt auch zahlreiche Sonderwünsche der Bundeswehrplaner beziehungsweise Änderungen der Anforderungen während der bereits laufenden Entwicklung. Kritiker sprechen in diesem Zusammenhang von sogenannten „Goldrand“-Lösungen bei Rüstungsprojekten. Selbst bei bereits fertig entwickelten Waffensystemen wurden von der Bundeswehr allzu oft Sonderwünsche angemeldet, statt ausgereifte Produkte, die bei anderen Armeen bereits im Einsatz sind, „von der Stange“ zu kaufen. 

Die besten Beschaffungspläne der Militärs sind wertlos, wenn die Industrie die gewünschten Waffen und Ausrüstung nicht oder nur mit großer Zeitverzögerung liefern kann. Unternehmen wie der Rüstungskonzern Rheinmetall haben bereits versichert, daß sie ihre Produktion bei Bedarf massiv hochfahren könnten. Statt im Einschichtbetrieb könne man in vielen Werken „auch rund um die Uhr arbeiten“, zitiert das Handelsblatt Rheinmetall-Chef Armin Papperger. Die Produktion von Panzermunition etwa könne so von 40.000 auf 240.000 Stück im Jahr erhöht werden. Vorlaufzeit: sechs bis zwölf Monate. Rheinmetall hat der Bundesregierung bereits ein Gesamtpaket im Volumen von 42 Milliarden Euro angeboten. 

Neben der Frage, welche Waffen die Bundeswehr angesichts des Angriffs Rußlands auf die Ukraine beschaffen soll, ist längst auch eine neue Diskussion über die Wiedereinführung der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht entbrannt. Die Deutschen sind in der Frage der Wiedereinführung indes gespalten: Eine relative Mehrheit der Bundesbürger hat sich laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa für den Focus dafür ausgesprochen, die allgemeine Wehrpflicht wieder einzuführen. 47 Prozent der Befragten sind demnach für eine Rückkehr zum verpflichtenden Dienst, 34 Prozent lehnen dies ab. 19 Prozent sind unentschlossen oder machten keine Angabe. 

Experten äußerten sich zumeist skeptisch und verwiesen auf die mit hohen Kosten allein für Erfassung und Musterung, die mit einer Wiedereinführung verbunden wären. Auch der höchste deutsche Soldat winkt ab: „Die Wehrpflicht – wie wir sie kennen – ist in der jetzigen Situation nicht erforderlich“, meinte Generalinspekteur Eberhard Zorn im Interview mit der Funke-Mediengruppe. Die Truppe und ihre Anforderungen hätten sich sehr verändert, man brauche „gut ausgebildetes und in Teilen sogar hochspezialisiertes Personal“. Für den Kampf im Cyberraum beispielsweise seien „Wehrpflichtige absolut ungeeignet“, ist der Viersterne-General überzeugt. 

Während die AfD das Ende der Wehrpflichtaussetzung fordert und unter anderem mit einer dadurch verbesserten Nachwuchsgewinnung für die Streitkräfte argumentiert, haben Politiker verschiedener anderer Parteien für die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht plädiert. So sprach sich der stell­ver­tre­ten­de CDU-Vorsit­zen­de Cars­ten Linne­mann für ein verpflich­ten­des Gesell­schafts­jahr für junge Frauen und Männer aus. Auch der vertei­di­gungs­po­li­ti­sche Spre­cher der SPD-Bundes­tags­frak­ti­on, Wolf­gang Hell­mich, meinte, eine allge­mei­ne Dienst­pflicht könne „den Gemein­sinn fördern“. Ähnlich äußerte sich Thürin­gens Minis­ter­prä­si­dent Bodo Rame­low (Linke) für „ein verpflich­ten­des sozia­les oder gesell­schaft­li­ches Jahr, in dem jede und jeder zwischen 18 und 25 Jahren einen soli­da­ri­schen Dienst an der Gesell­schaft tun soll“. Nach Ansicht der meisten Juris­ten müßte dafür allerdings das Grund­ge­setz geändert werden. Dafür bräuchte es eine Zwei­drit­tel­mehr­heit in Bundes­tag und Bundes­rat.





In fremden Kriegsdiensten

Vergangene Woche hat die Ukraine Freiwillige aus anderen Staaten aufgefordert, sich einer Art Fremdenlegion zur Verteidigung des Landes gegen die russische Invasion anzuschließen. Medienberichten zufolge tauschten sich bereits über hundert Reservisten der Bundeswehr in geschlossenen Chatgruppen über Möglichkeiten zur Kriegsteilnahme auf seiten der Ukraine aus. Auf Nachfrage teilte der Reservistenverband mit, er stehe in Kontakt mit der Bundeswehr, jedoch gebe „es noch keine verläßliche juristische Einschätzung“. Die Bundesregierung will eigenen Angaben zufolge deutsche Staatsbürger, die ausreisen wollen, um für eine der beiden Kriegsparteien zu kämpfen, nicht grundsätzlich daran hindern. Die Beteiligung an kriegerischen Auseinandersetzungen gegen Entgelt im Dienste einer ausländischen Armee oder paramilitärischen Einheit stellt nach deutschem Recht keinen besonderen Straftatbestand dar, kann aber nach den allgemeinen Gesetzen (etwa Völkermord, Mord, Totschlag, Raub, Diebstahl) strafbar sein. Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit verlieren allerdings ihren deutschen Paß, wenn sie ohne Zustimmung des Verteidigungsministeriums in die Streitkräfte des anderen Staates eintreten. Und wer „zugunsten einer ausländischen Macht einen Deutschen zum Wehrdienst in einer militärischen oder militärähnlichen Einrichtung anwirbt oder ihren Werbern oder dem Wehrdienst einer solchen Einrichtung zuführt“, den erwartet eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Botschaft und Konsulate der Ukraine, die als Anlaufpunkte für Freiwillige in Deutschland dienen, betrifft das in der Praxis jedoch nicht, da sie diplomatische Immunität genießen. (vo)

Foto: Rekruten der Bundeswehr beim feierlichen Gelöbnis: „Gut ausgebildetes und in Teilen sogar hochspezialisiertes Personal benötigt“