© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 11/22 / 11. März 2022

Hoffnung auf zuhause
Flüchtlingsreportage II: Am Berliner Hauptbahnhof angekommen
Martina Meckelein

Der Treffpunkt für Ukraineflüchtlinge ist im 1. Untergeschoß des Berliner Hauptbahnhofs. Hier sitzen auf Bierbänken und Bahnhofsstühlen ermattet Mütter mit kleinen Kindern auf dem Schoß. In den Ecken stapeln sich Rucksäcke, an den Pfeilern lehnen Einkaufstüten mit Bettzeug. Meterlange Schlangen der Ukrainer stehen an der Registratur. Am vergangenen Samstag erreichten 11.000 Flüchtlinge aus der Ukraine Berlin, zählte das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten. Ohne private Initiative und Hilfe geht in der Bundeshauptstadt nichts. Die Verwaltung ist wieder  mal überfordert. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey setzt Hilferufe ins gesamte Bundesgebiet ab. Wo sollen nur all die Menschen unterkommen?

An der langen Lebensmittelausgabe gibt es Kannen mit heißem Wasser für Tee und Kaffee. Emsig rennen Helfer in Warnwesten durch den ganzen Bahnhof, lotsen die Neuankömmlinge, andere bieten belegte Brötchen an. Es sind Freiwillige. Sie kommen morgens zum Bahnhof, ziehen eine Weste an und lassen sich einweisen. Kinderhände greifen sich angebotene Überraschungseier und stopfen sie sich selig in die Anoraktaschen. Plötzlich Tumult: Zwei Polizisten tragen ein kleines Mädchen im Laufschritt aus der Menschenmenge.

In all diesem Trubel sitzen Ina Aberianowa (48), ihr Mann (61), ihre Kinder und zwei Katzen. Sie kommen aus der Ostukraine, sind nach sechs Tagen Flucht in Berlin eingetroffen. „Wir sind aus Charkiw“, sagt die Frau und ringt um die richtigen deutschen Wörter. „Wir sind mit dem Zug in die Slowakei gefahren, weiter im Bus nach Prag. Und von Prag im Zug nach Berlin.“ Prager schenkten ihnen einen Korb für ihre beiden Russisch-Blau-Katzen Marquise und Kuzina. Sie hatten sie zuvor in Plastiktüten mitgenommen. „In Charkiw herrscht eine schreckliche Situation“, erzählt die Frau. „Ganzer Tag Bombardierung. Nur kurze Pause – keine Bombardierung. Mama und Papa sind noch da.“ Und dann laufen ihr die Tränen übers Gesicht. Die Familie will weiter nach Bremen. Ihr Mann hat dort Freunde. „Wir hoffen, daß wir bald wieder nach Hause können.“ Und dann ruft sie plötzlich: „Putin – chuilo!“ Der Mann schmunzelt. Putin ist ein Schwachkopf, heiße das. Entstanden ist dieser Slogan 2014 in den Fußballstadien nach der Besetzung der Krim. Irgendwann nach 14 Uhr fährt ihr Zug nach Bremen. „Ich möchte noch sagen: Danke! Alle Menschen hier sind gut zu uns.“

Es sind auch viele Männer hier im Untergeschoß. Ein Farbiger trinkt Kaffee. Radebrechend sagt er auf englisch, daß er aus der Ukraine stamme. Plötzlich steht ein Helfer da, spricht ihn erst auf englisch, dann auf russisch an, um es letztendlich mit Französisch zu versuchen. Der Farbige will zur Warschauer Straße, läßt sich die Route dorthin auf dem Handy zeigen und fotografiert sie mit seinem iPhone ab. Ob er wohl weiß, daß die Warschauer einer der Kriminalitätsschwerpunkte in der Hauptstadt ist? Fragen kann ich ihn nicht mehr. Zwei weitere Helfer stehen um ihn herum, schirmen ihn ab.